Süddeutsche Zeitung

Flugchaos und Politik:Asche über Europa - Alarm für Aktionisten

Die Politik kämpft mit Folgen der Vulkanasche: Verkehrsminister Ramsauer streitet sich mit Airlines; im Ausland wollen sich Staatsmänner profilieren.

Oliver Das Gupta

Erst mal die gute Nachricht: Angela Merkel ist heil ins heimische Berlin zurückgekehrt und kündigt eine Regierungserklärung zu Afghanistan an - ergo: die Kanzlerin regiert uneingeschränkt.

Von San Francisco nach Berlin via Lissabon, Rom, Bozen und München, so lautete Merkels Reiseroute, eine Odyssee durch halb Europa, inklusive einer Fahrt im Reisebus. Die Kanzlerin war eines der prominentesten "Opfer" des isländischen Vulkans mit dem zungenverknotenden Namen Eyjafjallajökull.

Seit Tagen spuckt der Feuerberg Asche in den Himmel, die über Europa wabert, was die Airlines aus naheliegenden Gründen hypernervös macht. Ihre Jets bleiben am Boden, das kostet viele Millionen: Der Luftraum ist in weiten Teil des Kontinents gesperrt, kein Kondensstreifen zieht sich über den Himmel, denn da schwirren ja die Aschepartikel, die den Flugzeugturbinen den Garaus machen könnten.

So argumentiert die Deutsche Flugsicherung, darauf beruft sich der Verkehrsminister Peter Ramsauer. Der deutsche Himmel bleibt dicht, bis mindestens Dienstag, zwei Uhr morgens, was Lufthansa und Air Berlin mächtig in Wallung bringt. Sie werfen dem CSU-Politiker vor, sich nur auf Computersimulationen zu stützen. Die Fluglinien berufen sich auf Testflüge, die auf keinerlei Risiko hinweisen.

Grüner nimmt schwarzen Minister in Schutz

Ramsauer wiegelt solche Kritik mit dem Hinweis auf die Sicherheit ab: "Es wäre beinahe zynisch und mit mir politisch nicht machbar, Umsatzeinbrüche gegenzurechnen mit irgendeinem nicht vertretbaren Risiko für Leib und Leben von Passagieren", dröhnt Ramsauer im Deutschlandfunk - und bekommt prompt Zuspruch von ungewohnter Seite. Winfried Hermann, Grüner und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, nimmt den strammen Konservativen Ramsauer in Schutz: "Ich stehe absolut hinter dem Verkehrsminister."

Das wird dem seit Amtsantritt nicht immer glücklich agierenden Peter Ramsauer freuen, die Airlines allerdings kaum besänftigen. Immerhin kann der Minister auf die europäischen Nachbarländer verweisen, die derzeit handeln wie er und den Luftraum sperren.

In etwa 30 Staaten mussten Zehntausende Reisende wegen abgesagter Flüge auf Fähren, Züge oder Mietwagen umsteigen oder saßen an Flughäfen fest. Oder sie haben ihre geplanten Trips abgesagt - wie zahlreiche Staats- und Regierungschefs. So fehlten viele der fast 100 Spitzenpolitiker und gekrönten Häupter bei der Trauerfeier für den verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski.

Die Staatschefs Barack Obama und Nicolas Sarkozy bliesen ihre Flüge nach Krakau ebenso ab wie Prinz Charles; Angela Merkel zuckelte mit ihrem Tross ohnehin noch über italienische Autobahnen.

Ein namhafter Politiker trotzte der Aschewolke und flog trotzdem nach Polen, wohl aus politischem Kalkül: Dimitrij Medwedjew. Dass ausgerechnet der russische Präsident in Putin'scher Starke-Männer-Manier mit einer Sondermaschine in Krakau einschwebte und vor laufenden Kameras einen Strauß roter Rosen für den russlandkritischen Kaczynski niederlegte, wurde in Polen prompt goutiert.

Russlands Präsident sammelte also Punkte gerade dank der Aschewolke.

Ein anderer Politiker hofft auf einen ähnlichen Effekt: Gordon Brown hat sich bemüht, sich als Krisenmanager in Szene zu setzen. Dem britischen Premierminister stehen Unterhauswahlen bevor, Umfragen prognostizieren einen baldigen Auszug Browns aus Downing Street Number 10.

Da kommt die Aschewolke gerade recht, um sich schnell noch zu profilieren: Die Ferien enden im Vereinigten Königreich, und etwa 150.000 Briten schmoren fern der Heimat wegen des Flugchaos. Die will die Regierung öffentlichkeitswirksam zurück auf die heimische Insel bringen.

Derzeit werde geprüft, welche Kapazitäten die Royal Navy habe und welche Häfen benutzt werden könnten, erklärt der britische Sicherheits-Staatssekretär Alan West. Die Marine habe eine "angemessene Kapazität, um Menschen mitzunehmen". Auch der Transport mit Handelsschiffen würde in Erwägung gezogen.

Brown schaltet sich auch persönlich ein: Der Premierminister setzt sich mit dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero in Verbindung. Es werde beraten, wie Spanien - dort ist der Luftraum nicht beeinträchtigt - helfen könnte, Briten nach Hause zu bringen, sagt eine Sprecherin der Downing Street. "Wir prüfen, ob man Leute von weiter weg nach Spanien fliegen und dann mit alternativen Transportmitteln von dort wegbringen kann." Sogar ein Notfall-Komitee hat Brown einberufen.

Ob der Aktionismus Brown wirklich noch etwas nutzt, ist offen - zuletzt schmierte in Umfragen seine Labour Party so weit ab, dass sie sogar hinter den Liberaldemokraten liegen.

Dass die Politik dank des Eyjafjalla-Vulkans etwas Grundsätzliches lernen könnte, meint Alain Finkielkraut. Der französische Philosoph sagt dem Le Journal du Dimanche, die Menschen glaubten sich "ohne Partner und Gegner" auf der Erde.

Die Aschewolke belehre sie eines Besseren: US-Präsident Barack Obama habe am Sonntag um 13 Uhr zur Trauerfeier in Krakau und zum Abendessen zurück in Washington sein wollen. "Dieses Programm hat etwas Erschreckendes und sogar Obszönes", grummelt Finkielkraut.

"Die Entfernungen unterdrücken, die Welt in eine sofort verfügbare Sache verwandeln, die Erde durch einen Technokosmos ersetzen: Wollen wir das wirklich?", fragt der Denker und liefert selbst die Antwort: "Die Wolke rät uns unerwartet zu Bescheidenheit und Langsamkeit."

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