Flüchtlingszahlen:Plötzlich Luft

Bundespolizei überprüft Flüchtlinge

Ruhe nach dem Sturm: Inzwischen werden alle Flüchtlinge von den deutschen Behörden erfasst.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Erstaufnahme-Einrichtungen stehen leer, die Busse bleiben in der Garage. Nicht mehr einige Tausend, sondern nur noch ein paar Hundert Menschen kommen täglich nach Deutschland. Für das Innenministerium noch kein Grund zur Entwarnung.

Von Stefan Braun, Berlin

Absurde Welt? Ein bisschen, jedenfalls bei den aktuellen Flüchtlingszahlen. Unmittelbar vor den drei Landtagswahlen am Sonntag, dem ersten großen Stimmungstest über die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, ist die Zahl der Menschen deutlich gesunken, die in Deutschland Zuflucht suchen. Während im vergangenen Herbst bis zu zehntausend Menschen an einem einzigen Tag über die Grenze nach Deutschland kamen, waren es in den vergangenen beiden Tagen nur 150. Würde sich die Zahl in dieser Höhe einpendeln, wäre man dort, wo man vor der Krise war: Dann kämen ungefähr 60 000 bis 70 000 Flüchtlinge jährlich.

Eine erste aktuelle Konsequenz lässt sich vielerorts schon besichtigen: Viele der neu eingerichteten sogenannten Erstregistrierungsstraßen an den deutschen Grenzübergängen sind ungenutzt. Viele der Erstaufnahme-Einrichtungen in den Bundesländern stehen weitgehend leer. Und auch die vielen Busse und Sonderzüge, mit denen die Menschen über die Länder verteilt wurden, stehen ungenutzt auf Parkplätzen und Rangierbahnhöfen. Die gesamte neu geschaffene Infrastruktur hat Pause.

Urlaub für die Polizisten? Das Bundesinnenministerium bleibt da skeptisch

Angesichts dessen ist es wenig verwunderlich, dass die Bundespolizei und andere schon dazu aufrufen, die Erstaufnahme-Einrichtungen zurückzufahren und den Bundespolizisten an den Grenzen, die zuletzt Tausende Überstunden machen mussten, ein wenig Luft und Urlaub und Durchatmen zu verschaffen. Im Bundesinnenministerium aber sieht man das noch skeptisch. Zu groß ist die Angst, dass sich eine Situation wie die im Herbst wiederholen könnte, sollte die Lage sich wieder ändern. Damals gab es von allem zu wenig, was den Eindruck erzeugte, Politik und Verwaltung seien mit dem Ansturm der Flüchtlinge überfordert.

Diese Sorge vor der Wiederholung speist sich im Innenministerium allerdings auch daraus, dass jetzt schon zu beobachten ist, wie einzelne Flüchtlingsgruppen auf andere Routen ausweichen. So versuchen offenbar derzeit wieder mehr Flüchtlinge, über die Libyen-Route nach Europa zu kommen. Erste Gruppen schlagen nun auch den Weg über das Schwarze Meer und Osteuropa ein, um nach Mitteleuropa zu gelangen. Auch diese Erkenntnisse führen dazu, dass im Innenministerium derzeit noch keine Neigung besteht, hie und da erste Kapazitäten abzubauen.

Andere dagegen, darunter auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, sehen in den Zahlen eine erste große Wende in der Flüchtlingspolitik. Das gilt umso mehr, weil sie die derzeit faktische Schließung der Route über den westlichen Balkan schon länger gefordert haben. Sie halten das für einen wichtigen Teil der Lösung.

Für andere, nicht zuletzt in der Bundesregierung, ist die Grenzschließung an der griechisch-mazedonischen Grenze keine echte Lösung. Dazu gehört neben dem Kanzleramt auch das Bundesinnenministerium. Dort setzt man nach wie vor alle Hoffnung auf den nächsten EU-Gipfel und auf eine Einigung mit der Türkei. Gleichwohl aber sind auch im Innenministerium viele froh, dass derzeit eine gewisse Entspannung eingetreten ist - und sei es nur, damit nach Monaten alle mal durchatmen können.

Am Mittwoch sind an der österreichisch-deutschen Grenze insgesamt 89 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen; im ganzen Bundesgebiet waren es 125. Am Dienstag waren es 162 gewesen. Im Schnitt sind seit Monatsanfang täglich gut 300 eingereist. Aktuelle Tendenz: fallend. Anfang des Jahres sind es noch zwischen 2000 und 3000 Menschen gewesen. Mitte Februar fiel die Zahl unter diese Marke, seit zwei Wochen sind es nicht mehr als 600 gewesen. Sollte die Situation anhalten, wird auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Schritt für Schritt ein wenig entlastet. Allerdings sind Zigtausende Flüchtlinge in Deutschland zwar registriert, konnten aber noch keinen Asylantrag stellen. Deshalb, so schildert es ein hoher Beamter, spüre das Bamf bislang noch keine Entlastung. Zu groß sei der Rückstau aus dem vergangenen Jahr. Damit sich das bessere, bräuchte man mehr als eine kurze Verschnaufpause.

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