Flüchtlingsunterkünfte im Winter:Zelten bei Minusgraden

Flüchtlingsunterkünfte im Winter: Ein Flüchtling in der Kruppstraße in Berlin.

Ein Flüchtling in der Kruppstraße in Berlin.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Mancherorts fällt der erste Schnee, und Tausende Flüchtlinge leben noch in ungeheizten Unterkünften. In aller Eile versuchen die Behörden, sie wetterfest zu machen.

Von Jan Bielicki, Thomas Hahn, Hamburg, und Susanne Höll, Frankfurt

Was andere für eine Krise halten, ist für die Firma Herchenbach ein ziemlich gutes Geschäft. Das Unternehmen aus dem rheinischen Hennef baut sogenannte Leichtbauhallen, seit 1924 schon, meist für Industrie, Handel und Verkehr. Unter den Kunden sind etwa VW, die Bahn oder der Münchner Flughafen. Wenn aber derzeit bei Vertriebsmitarbeiter Alexander Vogt das Telefon klingelt, sind meist Vertreter von Landkreisen oder Städten dran, die sich nach dem neuesten Angebot der Firma erkundigen: winterfeste Hallen, die als Notunterkünfte für Flüchtlinge dienen können.

So groß ist die Nachfrage, dass Vogt den Anrufern einen Montagetermin erst für die erste oder zweite Januarwoche versprechen kann. Sechzig ihrer zeltähnlich anmutenden Bauten in zwei Größen, für 30 oder 54 Menschen, haben die Monteure bundesweit schon aufgebaut. Der Vorteil dieser Hallen: Sie sind beheizt und gut gedämmt - "wie ein Nullenergiehaus", wirbt Vogt.

"Uns ist kalt", steht auf Protestschildern in Hamburg

In manchen Gegenden Deutschlands fallen die Temperaturen in dieser Woche nachts in die Nähe des Gefrierpunkts. Und noch immer sind Tausende Flüchtlinge in den Erstaufnahmezentren und Notunterkünften der Bundesländer nicht in festen Häusern untergebracht, sondern in Zelten - wobei die Behörden lieber von "Leichtbauweise" sprechen.

Tatsächlich fallen darunter ganz unterschiedliche Behausungen: Leichtbauhallen, Traglufthallen, aber eben auch Zelte: manche winterfest und bereits im Einsatz der Bundeswehr in der winters bitteren Kälte des afghanischen Hindukusch bewährt, andere nicht. Gemütlich machen auch Heizungen diese Massenunterkünfte nicht: Es bleibt eng und laut - und wer zur Toilette will, muss dann oft doch hinaus in die Kälte, weil vielerorts die Container mit den Sanitäranlagen eben nur draußen Platz finden.

In Hamburg zogen am Dienstag etwa 100 Flüchtlinge vor das Rathaus, um sich über die Temperaturen in den teilweise unbeheizten Zelten zu beschweren. Sie hatten Schilder dabei mit Aufschriften wie "Uns ist kalt" und "Lasst unsere Kinder nicht erfrieren". Etwa 3000 Flüchtlinge müssen in Hamburg derzeit in nicht beheizbaren Unterkünften schlafen.

Tausende in Zelten

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) rechnet nicht damit, dass jeder von ihnen im Winter in einer festen Unterkunft unterkommt. Jeder wisse, dass es wie überall in Deutschland auch in Hamburg Zelte geben werde, sagte er am Mittwoch in der Bürgerschaft. Er hoffe jedoch, dass diese Zelte zumindest alle winterfest seien. Hamburg hat unter anderem wegen des bevorstehenden Winters das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erweitert: Wenn die Kapazitäten erschöpft sind, kann die Stadt jetzt leer stehende Gewerbebauten anmieten, auch wenn der Eigentümer das nicht will.

Bremens Bürgerschaft stimmt über ein ähnliches Gesetz an diesem Donnerstag in zweiter Lesung ab. Niedersachsen gibt sich bis Ende Oktober, alle derzeit genutzten Zelte entweder winterfest zu machen oder durch feste Unterkünfte und Schnellbauhütten zu ersetzen, wie ein Sprecher des Innenministeriums mitteilte.

In Marburg werden Holzhäuser aufgestellt

Auch in Hessen bemühen sich die Behörden, Flüchtlinge in feste Unterkünfte zu bringen. Aber Tausende werden in der kalten Jahreszeit in Zelten ausharren müssen, die bestenfalls winterfest gemacht werden können. In Calden bei Kassel, wo rund 1300 Schutzsuchende in einer Zeltstadt auf einem alten Flugplatz untergebracht sind, werden die Unterkünfte derzeit befestigt.

Ein Zeltlager in Schwarzenborn im Schwalm-Eder-Kreis, wo gerade der erste Schnee fiel, soll an diesem Donnerstag aufgelöst, die fast 400 Asylbewerber in einen ehemaligen Baumarkt in Kassel verlegt werden. In Marburg werden derzeit auf einem Sportplatz Holzhäuser aufgestellt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gab das Ziel vor, bis zum offiziellen Winterbeginn am 21. Dezember alle Unterkünfte wind- und wetterfest zu machen. Holzhäuser lässt auch die rot-grüne Landesregierung in Rheinland-Pfalz errichten, etwa auf dem Flughafen Hahn.

Im Saarland sind derzeit alle Asylbewerber in Leichtbauhallen untergebracht, die der Kälte trotzen. In Nordrhein-Westfalen leben derzeit sogar 15 000 Menschen in Leichtbauten. Die seien allesamt beheizt, versichert man im Düsseldorfer Innenministerium: "Wir wussten schließlich schon bei der Planung, dass der Winter kommt."

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