Flüchtlingsunterkünfte:Sie sollen Platz machen

Flüchtlingsunterkünfte: Wohin? Obwohl sie feste Jobs in Feuchtwangen haben, sollen die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Ringstraße (hier mit einer Helferin) ausziehen.

Wohin? Obwohl sie feste Jobs in Feuchtwangen haben, sollen die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Ringstraße (hier mit einer Helferin) ausziehen.

(Foto: Privat)

Weil ihre Unterkünfte für Ukrainer benötigt werden, sollen in der Gemeinde Feuchtwangen Flüchtlinge umziehen. Auch andernorts kommt es zu Verlegungen und Konkurrenz um billige Wohnungen - die schon vorher knapp waren in Deutschland.

Von Nina von Hardenberg, München

Er verstehe das nicht, sagt Obsa Ibrahim-Abdella. Er und die anderen Bewohner lebten seit fünf, zum Teil sogar sechs Jahren in der Unterkunft in Feuchtwangen. Seit zwei Jahren hätten sie feste Jobs beim Paketdienstleister GLS. Viel wichtiger aber für ihn: "Wir sind auch Flüchtlinge." Warum also sollen sie jetzt ausziehen - für andere Flüchtlinge? Bis Freitag müssten sie ihre Unterkunft in der Ringstraße 41 in Feuchtwangen räumen, hatte es Mitte vergangener Woche geheißen. Sie würden umverteilt. Nur wohin? Der Landkreis Ansbach ist flächenmäßig einer der größten Bayerns. Wie kämen sie dann zur Arbeit? Sie arbeiten fast alle in Nachtschicht. Sie fahren mit dem Fahrrad zu GLS, sortieren dort Pakete. Ein Bus fährt nach ihrem Feierabend nicht mehr. "Das ist hart", sagt Ibrahim-Abdella. Er vermutet rassistische Motive gegen die vor allem aus Äthiopien stammenden Flüchtlinge. "So, so hart."

Rassismus möchte man den Behörden im mittelfränkischen Landkreis Ansbach nicht unterstellen. Vielmehr zeigt sich hier im Kleinen das gewaltige Unterbringungsproblem, das Deutschland gerade bekommt. Der Kreis Ansbach etwa erwartet in absehbarer Zeit 2000 ukrainische Kriegsflüchtlinge, mindestens 900 sind bereits da. Man hat sie in der ehemaligen Jugendherberge untergebracht und 570 Bürger und auch Unternehmen und Kommunen haben Platz angeboten, berichtet ein Sprecher. Aber das reicht nicht, um auch kurzfristig busladungsweise Menschen unterzubringen, glaubt man beim Landratsamt. Die Ringstraße 41 muss her, so die Überlegung.

"So geht das nicht", sagt Gerhard Stümpfig, der unweit der Flüchtlingsunterkunft wohnt und sich mit seiner Frau seit Jahren für die Bewohner einsetzt. Es dürfe nicht zwei Kategorien von Flüchtlingen geben. "Wir setzen nicht die einen auf die Straße, um die anderen unterzubringen." So wie er empfinden viele in Feuchtwangen, auch der zweite Bürgermeister, Walter Soldner, war gegen die Verlegung, gerade weil diese Menschen schon Arbeit in Feuchtwangen gefunden haben: "Wir würden ein Problem lösen, nur um uns damit ein anderes zu schaffen", sagt er. Die Gemeinde reagierte schnell und fand einen Ausweg: Weitere Neuankömmlinge sollen in ein leer stehendes, ehemalige Schwesternwohnheim ziehen. Die Flüchtlinge in der Ringstraße dürfen bleiben - vorerst. Denn das Landratsamt glaubt, im April auch diese Unterkunft zu benötigen.

Günstiger Wohnraum ist knapp in Deutschland, und gerade wird er noch knapper. Denn der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine hält an. Seit Beginn des russischen Angriffs vor etwa einem Monat hat allein die Bundespolizei 267 975 Geflüchtete aus der Ukraine erfasst. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen. Ein Großteil kommt immer noch privat unter, aber immer mehr suchen auch Schutz in staatlichen Unterkünften. Und so sind Länder und Kommunen überall in Deutschland auf der Suche nach Platz. Nicht immer nimmt man dabei so viel Rücksicht auf bereits hier lebende Flüchtlinge wie in Feuchtwangen. Viele mussten ihre Unterkunft räumen, etwa damit Mütter und Kinder alleine untergebracht werden konnten.

Für viele Geflüchtete gerät nun ein mühsam etablierter Alltag erneut ins Wanken

Das passiert in Bayern, wo Anfang März auch 135 Asylbewerber aus der Aufnahmeeinrichtung Fürstenfeldbruck in andere oberbayerische Asylunterkünfte verlegt wurden, genauso wie etwa in Berlin oder Nordrhein-Westfahlen. Während manch ein Flüchtling froh gewesen sein dürfte, das große Ankunftszentrum in Fürstenfeldbruck zu verlassen, können die Umzüge andernorts einen mühsam etablierten Alltag ins Wanken bringen. In NRW seien sieben zentrale Unterbringungseinrichtungen des Landes "freigezogen" worden, um sie mit Flüchtlingen aus der Ukraine zu belegen, berichtet der Landesflüchtlingsrat. Das führe mitunter zu großen Problemen: Termine bei Fachärzten, auf die Menschen lange gewartet haben, können nicht wahrgenommen werden, der Weg zur Arbeit ist nicht mehr möglich, Kontakte sind abgebrochen.

In Berlin mussten Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Reinickendorf binnen 48 Stunden ihre Wohnungen räumen, darunter auch Familien. Retraumatisierend sei das für Menschen, die die ganze Unsicherheit der Flucht erlebt hätten, sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin.

Es tue ihm leid, sagt dazu der Pressesprecher des Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Sascha Langenbach. Er selbst kannte eine betroffene Familie, die in Reinickendorf gerade erst ihren 14-jährigen Sohn eingeschult hatte. Die nun geräumte Unterkunft liege aber nun mal direkt neben dem Ankunftszentrum, in dem seit Kriegsbeginn Bus um Bus Ukrainer ankämen. Einmal zwei Busse mit gehörlosen Menschen, die bitte zusammenbleiben sollen; ein Mal ein Bus Rentner. Zum Teil habe man die Menschen im Aufenthaltsraum schlafen lassen.

Das grundlegende Problem in Berlin: Tatsächlich dürften 40 Prozent der Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte längst ausziehen, etwa weil ihr Asylgesuch anerkannt wurde und sie Arbeit haben. Sie bleiben aber, weil sie auf dem Berliner Wohnungsmarkt keine bezahlbare Bleibe finden. In Berlin hat man das lange toleriert. Nun, da die Ukrainer kommen, fehlen genau diese 8000 Plätze.

In Feuchtwangen ist es ähnlich: Auch die Bewohner der Ringstraße 41 würden gerne umziehen. Das Gebäude ist runtergekommen, der Mietvertrag läuft ohnehin im Herbst aus. Die Männer verdienen längst ihr eigenes Geld. Anders als bei den ukrainischen Flüchtlingen, die direkt ein bis zu dreijähriges Aufenthaltsrecht haben, sind ihre Asylverfahren jedoch bis heute nicht abgeschlossen. Wer aber vermietet an einen Flüchtling mit nur jeweils halbjähriger Aufenthaltsgestattung? "Die Menschen müssen mit staatlicher Hilfe gezielt in Wohnungen vermittelt werden", sagt Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat. Jetzt, da durch die Ukrainer noch mehr Konkurrenz um billige Wohnungen entsteht, mehr denn je. Dass das in den vergangenen Jahren, als weniger kamen, nicht passiert ist, sei die eigentliche Not.

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