Asylstreit in der Union:Was jetzt alles passieren kann

Überraschender Friede, schneller Tod oder Lähmung? Zwischen Merkel und Seehofer ist auch nach dem Brüsseler Gipfel alles möglich. Drei Szenarien.

Von Stefan Braun, Berlin

Wie lange warten? Das wird an diesem Sonntag eine Schlüsselfrage sein für die CSU-Spitze. Nach dem Brüsseler Gipfel ist erst einmal sie am Zug. Die Lage ist für die Partei und ihren Vorsitzenden Horst Seehofer nicht einfacher geworden. An der Abwägung, was nun geschehen soll, hat sich aus ihrer Sicht nicht viel geändert. Zumal die Kanzlerin dem Bundesinnenminister Horst Seehofer in Brüssel ein Ei ins Nest gelegt hat.

Ausgerechnet er und die anderen EU-Innenminister sollen nun die Details für die geplanten Verwaltungsverordnungen aushandeln, auf Basis derer künftig Flüchtlinge in jene EU-Staaten zurückgeschickt werden können, in denen sie zuerst registriert wurden.

Am Sonntagnachmittag hat Seehofer die Konfrontation nochmals verschärft und EU-Verhandlungsergebnisse Merkels sehr kritisch bewertet. Sie seien "nicht wirkungsgleich" mit den von der CSU verlangten Kontrollen und Zurückweisungen an der Grenze, sagte der Bundesinnenminister in einer CSU-Vorstandssitzung in München. Die Kanzlerin hatte kurz zuvor für ihre Pläne geworben. Sie ließ offen, ob am Sonntag eine Lösung in dem Streit erreichbar wäre, der den Bestand der Koalition akut bedroht. Was also kann jetzt passieren?

Szenario 1: Seehofer verschiebt die Entscheidung, auf eigene Faust an der Grenze Flüchtlinge zurückzuweisen

Trotz aller Sorgen vor einer weiteren Eskalation - diese Entspannung wäre durchaus möglich. In dem Fall könnten Seehofer und die CSU erklären, ihr Druck habe bereits dramatische Änderungen der Berliner Politik bewirkt. Ja, die Bayern könnten erklären, nur sie hätten der Kanzlerin Beine gemacht.

Das hätte jedenfalls aus Sicht der moderateren CSU-Kräfte wie Parteivize Manfred Weber den großen Vorteil, dass ihnen die gesamte CDU dankbar wäre, und das auch noch im doppelten Sinne. Denn nach wie vor sehen auch viele Christdemokraten enormen Handlungsbedarf. Sie finden es gar nicht schlecht, dass die CSU Merkel zwingt, zu liefern.

Zugleich würden viele in der CDU auch aufatmen, weil ihnen der Streit zwischen den Schwestern absurd vorkommt angesichts der guten Lage, in der sich Deutschland insgesamt befindet. Allerdings gibt es auch in der CDU hartnäckige Merkel-Gegner, die mittlerweile nur noch im Sturz oder Rücktritt der Kanzlerin eine Chance auf wirkliche Veränderung erkennen.

Von Vorteil wäre für die CSU zudem, dass sie sich wieder direkt an den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz andocken könnte. Kurz hat nach dem Gipfel in zwei Interviews erklärt, Österreich werde keine Flüchtlinge aus Deutschland zurücknehmen, insbesondere dann nicht, wenn sie einmal deutschen Boden betreten hätten- Außerdem sagte er, auch die Wiener Regierung sei gegen nationale Alleingänge. Solche Worte von Kurz verändern den Rahmen, in dem sich die CSU mit ihrer Argumentation befindet.

Konkret könnte das heißen: Die CSU erklärt, sie wolle den Ankündigungen vom Gipfel vier sechs, oder acht Wochen Zeit geben, aber sie werde die Drohung, alleine und national auf keinen Fall vom Tisch nehmen. Für Merkel wäre es vor allem eines: eine neue Zwischenetappe, Zeitgewinn und bis auf weiteres eine leichte Beruhigung der Lage.

Andere, vor allem ihre schärfsten Kritiker, würden dagegen sagen: Die Lähmung bleibt.

Szenario 2: Seehofer entscheidet sich für den nationalen Alleingang - und Merkel wirft ihn raus

Das wäre die maximale Eskalation mit vollkommen offenem Ausgang. Es würde nicht nur zum Rauswurf des Innenministers führen, sondern wohl auch zur Trennung der Fraktionsgemeinschaft. Die fast zwangsläufige Folge: Beide Parteien würden fortan in ganz Deutschland antreten.

Nach wie vor ist nicht ausgeschlossen, dass es auf diese Situation hinauslaufen könnte - noch scheinen in beiden Parteien viele, vielleicht die Mehrheit der Mitglieder die Überzeugung zu haben, dass Zusammenbleiben am Ende wichtiger ist als die Zukunft von Merkel und Seehofer.

Aus diesem Grund könnte in so einem Fall etwas anderes passieren: dass beide - Merkel wie Seehofer - in den eigenen Reihen zum Rücktritt gedrängt werden. Zur Rettung des Übergeordneten sozusagen.

Um das zu verhindern könnte vor allem Angela Merkel vor diesem Szenario etwas anderes versuchen.

Szenario 3: Seehofer und die CSU entscheiden sich für den Alleingang - und Merkel reagiert mit der Vertrauensfrage

Derzeit scheint dieser Gang der Dinge wahrscheinlicher zu sein als der brutale Bruch, und das vor allem aus einem Grund: In diesem Fall nämlich wäre es nicht Merkel, die Seehofer und damit auch der CSU kündigt. Stellt Merkel im Bundestag die Vertrauensfrage, dann läge es an den CSU-Abgeordneten, endgültig ja oder nein zur Kanzlerin zu sagen.

Sollte das der Weg der nächsten Tage sein, dann könnte es in etwa so laufen: Seehofer kündigt am Sonntagabend oder Montag einseitige nationale Zurückweisungen an der Grenze an - und Merkel verzichtet auf eine direkte Reaktion, sondern beantragt für Mittwoch oder Donnerstag die Vertrauensfrage.

Um diese Abstimmung nicht im Allgemeinen zu halten, könnte sie diese mit einer Definition ihrer Flüchtlingspolitik verbinden. Dabei würde sie nicht die Abläufe von 2015 zur Abstimmung stellen, sondern wahrscheinlich sehr viele Punkte aus Seehofers Plan als eigene Positionen verkaufen, ergänzt mit dem Zusatz, dass ansonsten das gelte, was sie in Brüssel erreicht habe, ohne nationale Alleingänge.

Eine Vertrauensfrage hat zwei zentrale Elemente: Zuletzt fand sie immer per namentlicher Abstimmung statt. Das bedeutet: Jeder und jede Abgeordnete muss eindeutig Farbe bekennen. Es wird also deutlich, wer hier wem kündigt. Außerdem kann die Kanzlerin bei einer Niederlage beim Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments beantragen. Sie muss aber nicht.

Ob das für Merkel im Fall einer Niederlage wirklich eine Option sein könnte, glauben allerdings die wenigsten. Deshalb würde sich dann viel eher die Frage stellen, ob sie selbst zurücktreten oder eine Gruppe der mächtigsten Christdemokraten sie dazu auffordern würde.

Noch allerdings sieht es am Sonntagmittag nicht danach aus. Zu deutlich haben sich zwei der wichtigsten Ministerpräsidenten und stellvertretenden Parteivorsitzenden hinter sie stellt: Hessens Regierungschef Volker Bouffier und sein Kollege Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen.

Kommt es am Ende trotzdem zum Bruch, bliebe Merkel neben der Vertrauensfrage noch eine zweite Variante: ein Sonderparteitag der CDU. So wie Gerhard Schröder es mit seiner Agenda 2010 auch gemacht hatte.

Die sichere Rettung wäre das für die Kanzlerin allerdings auch nicht. Ein gutes Ergebnis würde ihr massiv den Rücken stärken. An ein solches Resultat glauben derzeit aber nicht allzu viele. Sie halten ein knappes Ergebnis für wahrscheinlicher. Und dann?

Dann könnten die mühsamen Vorwärtsbewegungen der letzten Monate noch viele Monate weiter gehen. Das ist eine Variante, die praktisch keinem der Beteiligten gefallen dürfte.

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