Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Zuckerbrot und Knast

Die Koalition will mit ihrem Migrationspaket neue Arbeitskräfte anlocken - und abgelehnte Flüchtlinge leichter abschieben.

Von Stefan Braun und Bernd Kastner, Berlin/München

Die Koalition ist zur Zeit für viele Überraschungen gut. Während die Spitzen von Union und SPD um ihre Zukunft ringen, haben die Innen- und Sozialexperten der Koalitionsfraktionen am Kompromiss über ein ganzes Paket an Integrations- und Migrationsgesetzen gebastelt - und am Dienstag ein Ergebnis präsentiert. Damit scheint etwas geschafft zu sein, was seit Jahren in dieser kompakten Form nicht möglich schien: Sozial- und Christdemokraten haben für jene, die ausreisen müssen, die Lage verschärft - und gleichzeitig die Regeln für eine Fachkräftezuwanderung deutlich gelockert. Die große Hoffnung, die sich damit verbindet: Dass immer weniger auf den Flüchtlingsrouten kommen - und dafür immer mehr Fachkräfte auf legalem Weg. Der Verhandlungsführer der Union, Thorsten Frei sagte, das Paket ermögliche die angestrebte "scharfe Trennung" zwischen legaler und illegaler Migration. Die Sozialdemokratin Eva Högl ergänzte, hierbei handele es sich nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern ein sehr gutes Gesamtpaket. Opposition und Flüchtlingsorganisationen übten scharfe Kritik. Grüne und Linke beklagen, die Koalition wolle das Paket im Eilverfahren durchdrücken.

Schärfere Abschieberegeln

Das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz soll den Druck auf Ausreisepflichtige deutlich erhöhen, sodass sie Deutschland verlassen. Es sieht unter anderem einen neuen, minderwertigeren Duldungsstatus für jene vor, die ihre Abschiebung verhindern: Sie dürfen nicht arbeiten und bekommen einen Wohnsitz zugewiesen. Abschiebehäftlinge werden in normalen Gefängnissen untergebracht. Um dies europarechtlich zu begründen, konstatiert die Koalition eine "Notlage", weil es aus ihrer Sicht zu wenig Plätze in separaten Abschiebegefängnissen gebe. Erstmals soll bundesweit erlaubt werden, auf der Suche nach Abzuschiebenden Wohnungen zu durchsuchen. Wer bereits in einem anderen Land Asyl beantragt oder gar Schutz erhalten hat, soll in Deutschland weniger oder gar keine Sozialleistungen mehr erhalten. Asylsuchende sollen zudem nach ihrer Ankunft bis zu 18 Monate in zentralen Unterkünften leben; die bisherige Frist von sechs Monaten soll nur noch für Familien gelten.

Erleichterte Duldung

Ein insbesondere für kleine und mittlere Betriebe und Handwerker wichtiger Punkt ist die Einigung auf großzügigere Regeln für Geduldete, die einen Arbeitsplatz haben. Ihre Zahl ist nach dem Sommer 2015 stark angewachsen. Damals hatten sich viele Betriebe entschlossen, arbeitswillige Flüchtlinge auszubilden und anzustellen. Zuletzt wuchs deren Ärger, weil immer mehr Geduldeten trotz Integration Ausweisung und Abschiebung drohten. Dahinter stand die harte Linie der Union, man solle Menschen, die als Flüchtlinge kamen, nicht belohnen und ihnen den Weg in den Arbeitsmarkt öffnen. Vom Spurwechsel war die Rede, den vor allem die Union ablehnte. Nun wird dieses Problem gelöst, indem ein Stichtag eingeführt wird. Alle, die vor dem 1. August 2018 kamen und heute einen Arbeitsplatz haben, sollen längere Aufenthaltsmöglichkeiten erhalten. Außerdem können sie nach 30 Monaten, wenn alles gut läuft und die Familie integriert ist, ein legales Aufenthaltsrecht erhalten.

Neue Fachkräftezuwanderung

Deutschland soll für Nicht-EU-Bürger attraktiver werden. Die legalen Zugangs- und Arbeitsmöglichkeiten werden erweitert, so sollen sie nicht mehr auf Berufe beschränkt sein, in denen Arbeitskräfte fehlen. Die sogenannte Vorrangsprüfung fällt weg, es muss also nicht nachgewiesen sein, dass kein EU-Bürger den Job übernehmen könnte. Erstmals dürfen auch beruflich Qualifizierte kommen, die noch kein konkretes Jobangebot haben; sie dürfen sechs Monate lang eine Stelle suchen.

Härte gegen IS-Kämpfer

Ein weiterer großer Aspekt, der lange eine Einigung verhinderte, soll noch geregelt werden: Das Staatsangehörigkeitsrecht soll in drei Punkten geändert werden. Erstens soll es künftig möglich sein, Personen, die für die Terrorgruppe Islamischer Staat kämpften, die Staatsangehörigkeit zu entziehen, sofern sie eine zweite besitzen. Zugleich will die Koalition eine Einbürgerung für all jene untersagen, die in Mehrehe leben. Und schließlich soll die Einbürgerung bis zu zehn Jahre lang (bisher fünf Jahre) zurückgenommen werden können, wenn sich herausstellt, dass jemand falsche Angaben zu seiner Identität gemacht hat.

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SZ vom 05.06.2019
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