Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Eine Entfremdung - Merkel und ihre CDU

In der CSU ohnehin, aber auch in der CDU wächst das Gefühl, dass die Kanzlerin abgehoben und ein Kurswechsel nötig sei. Die aber meldet sich aus China und sagt schlicht: Nein.

Von Robert Roßmann

Horst Seehofer hat sich in den vergangenen Wochen - zumindest für seine Verhältnisse - zurückgehalten. Die Umfragewerte für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern wurden von Woche zu Woche schlechter, aber der CSU-Vorsitzende schwieg. Auch als die erste Erhebung die AfD vor der Union sah, blieb Seehofer ruhig. "Leichtgefallen ist das dem Chef nicht", sagt einer aus seinem Umfeld - auch weil er ein SZ-Interview der Kanzlerin als Provokation empfunden habe. Merkel hatte darin ihr "Wir schaffen das" noch einmal vehement verteidigt.

Aber am Tag nach der Wahl im Nordosten ist es mit der Ruhe vorbei. "Die Lage für die Union ist höchst bedrohlich", sagt Seehofer, "die Menschen wollen ernst genommen werden, das werden sie aber nicht." Und dann wirft er Merkel schwere innenpolitische Fehler vor. "Die Menschen wollen diese Berliner Politik nicht", sagt der CSU-Chef der SZ.

Das Land sei "zerrissen wie selten, das Vertrauen schwindet rasant - die Menschen verstehen einfach nicht mehr, wie Politik gemacht wird in Deutschland. Sie fühlen sich nicht mehr mitgenommen". Von Merkel mitgenommen, meint Seehofer. Die große Koalition habe eine "gute erste Halbzeit" gehabt, dieser Weg sei dann aber "im Spätsommer 2015 durch eine andere Definition der Zuwanderungspolitik verlassen worden", klagt der Ministerpräsident. Seine "mehrfache Aufforderung zur Kurskorrektur" sei nicht aufgenommen worden. Das "desaströse" Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern sei eine Folge davon.

Die CSU ist trotz der gemeinsamen Friedensklausur von Potsdam ziemlich genervt von ihrer Schwesterpartei. Merkel solle weniger in der Welt herumfliegen und sich stärker um Deutschland kümmern, finden sie in München. Seehofer verschiebt jetzt seine für Oktober geplante Russland-Reise. "Ich kann nicht in der Welt herumreisen, wenn ich innenpolitische wichtige Fragen klären muss", sagt er.

Im CDU-Vorstand wollen sie Streit vermeiden

Normalerweise trifft sich am Tag nach Landtagswahlen die CDU-Spitze, um das Ergebnis zu besprechen. Anschließend stellt sich Merkel den Fragen der Journalisten. Doch an diesem Montag ist alles anders - und auch für manchen in der CDU ist das bezeichnend: Zu Hause brennt die Hütte, aber die Chefin ist nicht da, weil sie sich um die Weltpolitik kümmert.

Die Kanzlerin weilt mehr als zehn Flugstunden entfernt beim G-20-Treffen in China. Und so gibt es nur eine Telefonkonferenz des CDU-Vorstandes, in die sich Merkel zuschalten lässt. Die Kanzlerin kann nichts dafür, dass die Landtagswahl ausgerechnet während des Gipfels in Hangzhou stattfindet. Aber die Bilder gereichen ihr trotzdem nicht zum Vorteil. Auch weil Merkel erst zu einer Pressekonferenz zum G-20-Gipfel lädt, bevor sie - fast 20 Stunden nach Schließung der Wahllokale - zum ersten Mal Stellung zur Lage in Deutschland nimmt. "Wir hätten die Möglichkeit von drei Fragen", sagt die Kanzlerin. Und mehr lässt sie dann tatsächlich nicht zu.

Der Auftritt Merkels dauert keine fünf Minuten. Im Kern enthält er vier Botschaften. Das CDU-Ergebnis sei trotz der guten Bilanz der Landesregierung schlecht, sagt Merkel. Grund dafür sei, dass bundespolitische Themen - und hier vor allem die Flüchtlingspolitik - alles überlagert hätten. Sie sei Parteichefin und Kanzlerin und deshalb "natürlich auch verantwortlich" für das schlechte Resultat.

Ihren Kurs werde sie aber nicht ändern, denn die getroffenen Entscheidungen seien richtig gewesen, betont Merkel gleich dreimal. Genau so richtig sei es aber, dass in der Bevölkerung Vertrauen verloren gegangen sei. Alle müssten jetzt "darüber nachdenken, wie können wir jetzt das Vertrauen wieder zurückgewinnen - und vorneweg natürlich ich". Wie genau sie dieses Vertrauen zurückgewinnen will, sagt die Kanzlerin aber nicht.

Auch in der Telefonkonferenz des CDU-Vorstandes am Morgen ist Merkel nicht viel konkreter. 45 Minuten dauert das Gespräch. Merkel sagt Teilnehmerangaben zufolge in ihrem Eingangsstatement, das Ergebnis mache sie "extrem traurig", auch weil der Landesverband einen "sehr guten Wahlkampf" geführt habe. Es sei für sie auch "persönlich nicht einfach", weil Mecklenburg-Vorpommern ihre politische Heimat sei. Doch dann verweist Merkel darauf, dass die SPD stärker verloren habe als die CDU.

Damit bringt sie das Präsidiumsmitglied Jens Spahn gegen sich auf, der einwendet, der Hinweis auf Verluste des Gegners bringe die CDU doch nicht weiter. Die Union müsse ihren Kurs grundsätzlicher überdenken. In den vergangenen 20, 30 Jahren sei die Integration von Migranten aus Sicht vieler Bürger nicht so gut gelaufen. Die CDU müsse auch wieder "Sprachrohr" für solche Sorgen werden, sagt Spahn. Schon der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler habe erklärt: "In der Politik sind Emotionen Fakten."

Einen Aufstand gegen Merkel gibt es in der Runde aber nicht. Die Vorsitzenden der drei Parteivereinigungen, die vor dem letzten Bundesparteitag Front gegen Merkels Flüchtlingspolitik gemacht haben, melden sich nicht zu Wort. JU-Chef Paul Ziemiak und der Vorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung, Ingbert Liebing, bleiben stumm.

Der Chef der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, ist wegen eines Schützenfestes gar nicht in der Schalte. "Was sollen wir jetzt auch tun", sagt einer der drei nach der Sitzung. Im September würden noch das Berliner Abgeordnetenhaus und die niedersächsischen Kommunalparlamente gewählt. Offener Streit schade da nur.

Zumindest Linnemann drückt aber seine Unzufriedenheit aus. "Wir als CDU-Spitze müssen die Sorgen artikulieren, die viele haben", sagt er der SZ. Die Bürger wüssten, dass es keine Patentrezepte gebe. "Aber sie haben das Gefühl, dass wir da oben gar nicht mehr wissen, was da unten läuft - dass wir die Nöte gar nicht mehr kennen." Schönreden bringe da nichts, das sorge nur für Unbehagen.

Es gewinnt nicht mehr, wer sich hinter Merkels Flüchtlingspolitk stellt

In der Vorstandsschalte gibt es viele Wortmeldungen. Am interessantesten ist aber die von Julia Klöckner. Die stellvertretende CDU-Chefin verweist darauf, dass es nach dem Wahlsieg von Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz noch geheißen habe, es gewinne der, der sich hinter die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin stelle.

Das habe sich jetzt geändert. Erwin Sellering (SPD) habe gewonnen, weil er sich ständig von der Kanzlerin distanziert habe. Deshalb sei es auch absurd, wenn die SPD sich jetzt für ihren klaren Kurs in dieser Frage lobe. In dieser Bemerkung Klöckners dürfte auch ziemlich viel Rechtfertigung für ihr eigenes Verhalten im verlorenen Wahlkampf gegen Dreyer stecken.

Und Merkel? Die lässt sich bis zum Ende der Sitzung nicht beirren. Beim Thema Burka-Verbot geht sie sogar in die Offensive: Es schade der CDU, wenn die Partei hier - wie geschehen - nicht mit einer Stimme spreche, das verwirre Wähler nur. Und Jens Spahn gibt sie ein anderes Heiner-Geißler-Wort mit auf den Weg: "Wer sich selbst nicht imponiert, imponiert auch anderen nicht."

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SZ vom 06.09.2016/lkr
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