Flüchtlingspolitik:Wie die Flüchtlingskrise auf dem Balkan entschärft werden soll

EU leaders and EC President Juncker and Germany's Chancellor Merkel gesture during a family photo at a meeting over the Balkan refugee crisis with leaders from central and eastern Europe in Brussels

Wollten in Brüssel Ordnung ins Flüchtlingschaos auf dem Balkan bringen: die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Sloweniens Premier Miro Cerar, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans (v.l.n.r.)

(Foto: REUTERS)

Wir müssen reden: Das haben die Regierungschefs der Länder auf der Westbalkanroute bei ihrem Gipfel in Brüssel festgestellt - und sich auf 17 Punkte geeinigt. Die wichtigsten Ergebnisse.

Der Winter naht. Doch während die Temperaturen sinken, reißt der Flüchtlingsstrom, der sich über Griechenland in Richtung Mitteleuropa bewegt, nicht ab. Auf der Westbalkanroute droht eine humanitäre Katastrophe - das schreiben die Regierungschefs der von der Flüchtlingskrise am stärksten betroffenen Länder nach dem Brüsseler Sondertreffen in ihrem Abschlussbericht. Was das konkret heißt, hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schon vor dem Treffen in einem Interview gesagt: "Jeder Tag zählt. Sonst sehen wir bald Familien in kalten Flüssen auf dem Balkan elendig zugrunde gehen." Was also tun?

Der "beispiellose Flüchtlingsstrom", so heißt es wenig überraschend im Brüsseler Abschluss-Statement, sei eine Herausforderung, die sich nicht allein durch nationales Handeln lösen lasse. Im Gegenteil: Einseitiges Vorgehen könne eine Kettenreaktion auslösen, nur ein "entschlossener, kollektiver, grenzübergreifender Ansatz im europäischen Geiste" könne zum Erfolg führen. "Betroffene Staaten", so lautet der in seiner Schlichtheit entlarvende Appell des Brüsseler Treffens, "sollten deshalb miteinander reden".

Heftig sollen die Debatten in Brüssel gewesen sein, "Uneuropäisches" sei gesagt worden, beklagte sich Luxemburgs Außenminister (als Vorsitz der luxemburgischen EU-Ratspräsidentschaft 2015) Jean Asselborn. Trotzdem einigten sich die Regierungschefs der Staaten entlang der Balkanroute - acht aus der EU, dazu Serbien, Mazedonien und Albanien - am Ende auf 17 Punkte. Das besagen sie im Einzelnen:

Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen

Wir müssen reden: Nach diesem Motto sieht der Abschlussbericht vor, dass alle beteiligten Staaten innerhalb von 24 Stunden jeweils einen Verantwortlichen für die Kommunikation benennen. Diese sollen im täglichen Austausch die "schrittweise, kontrollierte und geordnete Bewegung der Personen entlang der Westbalkanroute" koordinieren. Der unmittelbare Fokus sei darauf zu richten, für alle Ankommenden vorübergehend Schutz und Obdach bereitzustellen, zugleich aber eine "schnelle und effektive" Rückführung all jener zu organisieren, die eines internationalen Schutzes nicht bedürften. "Alle verfügbaren Mittel" sollen eingesetzt werden.

Die Politik des Durchwinkens beenden

So wie es Juncker schon im Vorfeld gefordert hat, so steht es nun auch im Abschlussbericht: "Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen, ohne das Nachbarland zu informieren, ist nicht hinnehmbar." Heißt also: Der europäische Geist soll da einziehen, wo bisher das Sankt-Florian-Prinzip regiert. Statt die Flüchtlinge an der einen Grenze einzusammeln und an der nächsten Grenze abzuladen, sollen die Regierungen die Flüchtlinge aktiv davon abbringen, in das nächste Land weiterzuziehen. Oder, in den Worten von Jean-Claude Juncker: Nachbarn sollten miteinander arbeiten, nicht gegeneinander.

Flüchtlinge versorgen und unterbringen

Um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, müssten die Flüchtlinge menschlich behandelt werden. Das soll so aussehen: Die Staaten stellen den Flüchtlingen mehr Wasser und Essen zur Verfügung, sie verbessern die Gesundheitsversorgung und die sanitären Einrichtungen, sie stellen - vorübergehend - mehr Platz zum Leben bereit. Wie diese Plätze aussehen sollen, steht nicht in dem Papier. Wer all das nicht in einem ausreichenden Maße leisten kann, hat die Möglichkeit, den EU-Zivilschutz anzurufen, der normalerweise für die Notversorgung bei Erdbeben oder Überschwemmungen mobilisiert wird.

Griechenland plant bereits, die Zahl der Plätze für Flüchtlinge bis Jahresende auf 30 000 aufzustocken. Die Staaten wollen Griechenland und das UNHCR nun bei der Bereitstellung von 20 000 zusätzlichen Plätzen unterstützen; 50 000 weitere sollen entlang der Balkanroute hinzukommen. 100 000 Plätze also insgesamt. "Zu wenig", kritisierte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann unmittelbar nach dem Treffen. In Slowenien trafen allein am Sonntag knapp 10 000 Flüchtlinge ein.

Ordnung ins Chaos bringen, schneller abschieben

Wer sind die, die da kommen, wohin gehen sie - und wie viele sind es: Informationen über die ankommenden Flüchtlinge sollen unter "maximalem Einsatz biometrischer Daten, namentlich Fingerabdrücke" effektiver erfasst, die Informationen über die Bewegungen einzelner Gruppen schneller ausgetauscht werden. Migranten, die keines internationalen Schutzes bedürften, sollen schneller zurückgeführt werden. Mit Afghanistan, Bangladesch und Pakistan soll die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht intensiviert werden, heißt also: Asylsuchende aus diesen Ländern sollen leichter abgeschoben werden können. Bestehende Rückführungsabkommen sollen eingehalten und neue von der EU-Kommission auf den Weg gebracht werden, wo es solche Abkommen noch nicht gibt.

Die Grenzen stärker kontrollieren

Viel Platz widmen die Regierungschefs einmal mehr dem Thema "Grenzmanagement". Die Unterzeichner, heißt es im längsten Punkt des Statements, wollen die "Kontrolle über die Grenzen wiedererlangen". Sie wollen eng mit der Türkei zusammenarbeiten und den mit ihr vereinbarten Aktionsplan umsetzen.

Vor allem soll die umstrittene EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter gestärkt und die Mitgliedsländer bei der Registrierung der Flüchtlinge und bei der Überwachung der Grenzen unterstützt werden: an der bulgarisch-türkischen, der serbisch-kroatischen Grenze und in Griechenland. Die Frontex-Operation "Poseidon" im östlichen Mittelmeer und der Ägäis soll ausgeweitet werden. Wenn nötig, sollen die Länder die "Rapid Border Intervention Teams" von Frontex nutzen, die dafür entsprechend ausgestattet werden. Diese Teams existieren seit 2007, Mitgliedsstaaten können sie kurzfristig als Hilfskräfte für ihre Grenzen anfordern, sie haben dort dann dieselben Befugnisse wie die reguläre Grenzpolizei. Menschenrechtsorganisationen haben die Teams in der Vergangenheit für ihr rücksichtsloses Vorgehen kritisiert.

Die zerstrittenen Länder Griechenland und Mazedonien sollen an der Grenze enger zusammenarbeiten, auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR soll an der griechisch-mazedonischen Grenze stärker eingebunden werden. Griechenland, Albanien und Mazedonien sollen die Außengrenzen der EU an Land besser sichern. Slowenien, das in den vergangenen Tagen zum Haupttransitland der Flüchtlinge geworden ist, soll von anderen Ländern innerhalb einer Woche 400 Polizeibeamte sowie Ausstattung gestellt bekommen.

Im Statement wird ausdrücklich erwähnt, dass jedes Land Nicht-EU-Bürger an der Grenze abweisen darf, wenn sie dort nicht um Flüchtlingsschutz ersuchen. Die meisten Flüchtlinge wollen einen Asylantrag in den Ländern der Westbalkanroute vermeiden, da sie nach den Regeln des Dublin-III-Abkommens in jenem Land bleiben müssen, in dem sie zuerst um Asyl angesucht haben.

Gegen Schleuser kämpfen

Der Kampf gegen die Schlepperei soll verstärkt werden. Dafür werden neben Frontex auch Europol und Interpol um Hilfe gebeten.

Flüchtlinge von der Weiterreise abbringen

Um Flüchtlinge von "gefährlichen Reisen und der Zuflucht zu Schleusern" abzuschrecken, sollen sie "mit allen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmitteln über die Konsequenzen einer Weigerung informiert werden, dort, wo sie sind, um Schutz anzusuchen, sich registrieren und sich die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen". Heißt im Klartext: Die Flüchtlinge sollen in dem Land um Asyl bitten, in dem sie sind - und nicht eigenmächtig weiterziehen. Das UNHCR soll die nationalen Behörden dabei unterstützen.

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