Flüchtlingspolitik:Warum Merkel nicht von ihrem Kurs abweichen wird

CDU Bundesvorstand

Angela Merkel umringt von den CDU-Spitzenkandidaten der Landtagswahlen, Guido Wolf (Baden-Württemberg, 2.v.r), Julia Klöckner (Rheinland-Pfalz) und Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt).

(Foto: dpa)
  • Die Ergebnisse der Landtagswahlen führen nicht zu einem Kurswechsel Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik.
  • Ihre Überzeugung ist dafür zu gefestigt: Hilfsbereitschaft führt zu besseren Lösungen als Abschottung.

Analyse von Thorsten Denkler

Sollte also Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik jetzt verlassen? Sollte sie umkehren, neu justieren, weil die Wahlergebnisse der CDU in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz so schlecht sind? Einige fordern das. Kommentatoren, Politiker. CSU-Chef Horst Seehofer allen voran. "Aus dem Sinkflug kann ein Sturzflug und ein Absturz werden. Wir brauchen eine andere Politik", sagte er am Montag.

Aber was bedeutet eine andere Politik? Obergrenzen, natürlich. Die will Seehofer. Im Moment eine Forderung, die ins Leere geht. Die Balkanroute ist dicht. Vor allem weil Mazedonien, Ungarn und nicht zuletzt Österreich ihre nationalen Interessen über das Wohl der Flüchtlinge gestellt haben, die in Griechenland mit Neugeborenen im Schlamm leben müssen.

Merkel will einen anderen Weg, einen Weg der europäischen Gemeinsamkeit. Sie will eine gerechte Verteilung der Flüchtenden auf alle Länder der Europäischen Union. Zur Not auch nur in einer Koalition der Willigen, der Hilfsbereiten. Viele sind es nicht. Außer aber die Grenzen dichtzumachen und die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen, gibt es zum europäischen Weg kaum eine Alternative.

Merkel hat die CDU modernisiert

Merkel soll also in dieser Situation ihre Politik ändern. Sie soll ähnliche Härte walten lassen, wie Viktor Orbán in Ungarn. Oder wie die mazedonische Regierung, die ihre Grenzer Flüchtende mit Tränengas begrüßen und sie niederknüppeln lässt, wenn sie den Fuß auf mazedonischen Boden setzen. So soll auch Merkel rangehen. Wegen zweier verlorener Landtagswahlen und einer AfD, die mit zweistelligen Ergebnissen in weitere drei Landtage eingezogen ist.

Jahrelang wurde Merkel vorgeworfen, keine Linie, keine Vision für das Land zu haben. Politik der kleinen Schritte. Wie im Tipp-Topp-Spiel auf dem Schulhof, Fuß vor Fuß. Am Ende gewinnt, wer seinen Fuß auf den des anderen setzen kann. Merkel, die Physikerin, hat oft genug mit dem Tipp-Topp-Spiel angefangen und alle Informationen über Abstand zum und Schuhgröße des Gegners in eine Gleichung gesetzt. Sehr oft ist diese Gleichung in ihrem Sinne aufgegangen.

So hat sie ihre Partei modernisiert, alte Zöpfe in der Familienpolitik abgeschnitten, den Atomausstieg nach Fukushima angeordnet, die Wehrpflicht ausgesetzt. Immer gegen innere Widerstände. Ihre Politik hat sie zu neuen Rekordwerten in den Umfragen geführt. Und 2013 mit 41,5 Prozent zum besten Wahlergebnis der Union seit 1990.

Jetzt ist Flüchtlingskrise. Merkel hat einen Kurs gewählt, der angesichts der humanitären Katastrophe nicht mit Abschottung, sondern mit Hilfsbereitschaft arbeitet. Hilfsbereitschaft für die, die Hilfe brauchen. Auch Merkel will nicht jedem Asyl gewähren, will nicht jedem eine Bleibeperspektive eröffnen. Auch sie will ausländische Straftäter schnell abschieben und schnellere Asylverfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsländern. Hilfsbereitschaft und, ja, Nächstenliebe, sind dennoch ihre wichtigsten Botschaften.

Diesen Kurs wird sie halten. Sie wird ihn halten müssen. Alles andere wäre wankelmütig. Und würde Missgunst unter jenen säen, die heute zu ihr stehen gerade wegen ihrer unerschütterlichen Haltung.

Wohin Wankelmut führt, hat der CDU-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, Guido Wolf, eindrucksvoll gezeigt. Aus einem sicher geglaubten Wahlsieg hat er ein Minus von zwölf Prozentpunkten gemacht. Er landete deutlich hinter den Grünen, eine Schmach. Noch Mitte Februar stand die CDU satt vor den Grünen. Tendenz zwar leicht abfallend. Aber die Flüchtlingskrise war da schon längst kein neues Phänomen mehr. Malu Dreyer und Winfried Kretschmann haben mit einem Pro-Merkel-Kurs ihre Wahlen gewonnen. Es geht also.

Hinter Merkels Kurs steckt mehr als Wahltaktik

Der Absturz von Wolf kam erst, nachdem er zusammen mit der CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, ein Papier präsentierte, das als klare Abgrenzung zum Merkel-Kurs verstanden werden musste. Diese Unklarheit im Kurs hat das Aus bedeutet.

Es steckt aber mehr als Wahltaktik hinter Merkels Kurs. Merkel stammt aus einer Pfarrersfamilie. Sie ist praktizierende und gläubige Christin. Sie hat es so deutlich nicht gesagt, aber eine Mischung aus protestantischem Pragmatismus und Nächstenliebe scheint ein treibendes Motiv zu sein.

Im vergangenen Sommer machte sie von ihrem Kanzlerinnenrecht Gebrauch und setzte das Dublin-Verfahren für Deutschland außer Kraft. Das war der einzige Weg, um dem Leid Zehntausender Flüchtender ein Ende zu setzen, die von Orbán in Ungarn sich selbst überlassen worden waren. Österreich sah sich außerstande alle aufzunehmen. Der Hilferuf erreichte Merkel. Sie reagierte. Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung gewesen.

Auch Kohl und Schröder hatten ihre Projekte

Merkel ist überzeugt von ihrem Kurs. So wie 2003 Gerhard Schröder überzeugt war von seinem Plan, die deutschen Sozialsysteme von Grund auf zu sanieren, um Deutschland zukunftsfest zu machen.

Schröder hat mit der Agenda 2010 das Land nachhaltiger modernisiert als die meisten seiner Vorgänger. Auch wenn nicht jeder als Sieger aus dem neuen System hervorgehen konnte. Zugenommen hat allerdings vor allem die Abstiegsangst der Mittelschicht. Das hat die SPD massiv unterschätzt. Hier hätte sie die Stellschrauben anders setzen müssen.

Dennoch: Für seinen Plan ist Schröder ins Risiko gegangen, hat Teile seiner Partei gegen sich aufgebracht. Und damit wichtige Teile der SPD-Wählerschaft. Er hat die Macht riskiert für sein Projekt - und sie verloren. Heute würde kaum noch jemand sagen, dass die Agenda 2010 ein Fehler war. Dass Deutschland wirtschaftlich so gut dasteht, hat viel mit der Agenda-Politik zu tun.

Auch Helmut Kohl hatte Ende der 90er Jahre ein Projekt, von dem er so überzeugt war, dass er massive Stimmverluste in Kauf nahm: die Einführung des Euro. Hitzige Debatten gab es damals. Eine klare Bevölkerungsmehrheit wollte die D-Mark behalten. Dennoch beschlossen Kohl und die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft mitten im Bundestagswahljahr 1998 die Einführung des Euro.

Kohl verlor die Bundestagswahl 1998 nach 16 Jahren im Amt mit 35,1 Prozent, dem damals schlechtesten Ergebnis für die Union seit 1949. Später bekannte er, die Euro-Frage habe er durchgezogen "wie ein Diktator". Trotz der Krise heute hat der Euro dem Land jedes Jahr deutlich über einen Prozentpunkt mehr Wachstum und Wohlstand gebracht als mit der D-Mark möglich gewesen wäre. Hunderttausende Arbeitsplätze gäbe es heute ohne den Euro nicht.

Kurs halten ist eben manchmal wichtiger als die nächste Wahl. Merkel scheint das erkannt zu haben. Seehofer nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: