Flüchtlingspolitik:Umkämpfter Status

''Hotspot'' center in Moria

Aus der Sicherheit geflohen? Ein Marokkaner wartet in einem Lager auf Lesbos auf die Weiterreise.

(Foto: Socrates Baltagiannis/dpa)

Im Streit über die Sicherheit in den Maghreb-Staaten wollen die Grünen einen Kompromiss.

Von Stefan Braun und Susanne Höll, Berlin

Noch ist über Sieg oder Niederlage der Bundesregierung nicht entschieden. Und Kanzleramtsminister Peter Altmaier wird alles versuchen, um die Pleite abzuwenden. Doch wenige Tage vor der finalen Abstimmung im Bundesrat zeichnet sich für ihn eine erste große Pleite ab - und zwar gegen die Grünen. Es wäre in vielerlei Hinsicht ein Novum: Zum ersten Mal liefe Altmaier gegen eine Wand der Grünen, die er auch durch Verhandlungsgeschick und Geschenke nicht für sich gewinnen konnte; zum ersten Mal wäre es den Grünen gelungen, die Spitzen im Bund und in den meisten Ländern zusammenzuhalten; und erstmals wäre ihr aktueller Übervater, Baden-Württembergs Winfried Kretschmann, dabei Zuschauer, nicht Antreiber.

Ein Sieg der Regierung bei der Abstimmung im Bundesrat am Freitag ist ungewiss

Das Thema, um das es geht, sind die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien. Seit Monaten plädieren Altmaier und Bundesinnenminister Thomas de Maizière dafür, die drei Staaten der Liste "Sichere Herkunftsländer" beizufügen. Ihr Ziel: Sie wollen die Asylverfahren bei Bewerbern aus diesen Staaten massiv verkürzen. Wer formal aus einem solchen "sicheren Herkunftsland" kommt, durchläuft nur noch ein verkürztes Verfahren mit weniger Schritten; außerdem wird die Beweislast umgekehrt. Muss normalerweise der Staat prüfen, ob jemand verfolgt ist, so muss in den verkürzten Verfahren der Antragsteller seine Verfolgung beweisen. Kabinett und Parlament haben das beschlossen; am Freitag sollte der Bundesrat folgen. Doch das ist unwahrscheinlich.

Im Jahr 2015 ist der Regierung Vergleichbares noch gelungen. In zwei Schritten wurden die sechs Staaten des westlichen Balkan, also Serbien, Albanien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kosovo zu ebensolchen erklärt. Und in beiden Fällen war Kretschmann im Bundesrat wichtigster Verhandlungspartner für Altmaier. Auch er fand die Konstruktion problematisch; mehrmals betonte er, dass er nur zustimme, weil es keine bessere Alternative gebe. Dieses Mal aber haben ihm andere das Heft aus der Hand genommen. Und das, obwohl er und Altmaier schon an einem Kompromiss saßen.

Die neun grünen Ländervertreter haben im Bündnis mit der Bundesspitze nicht nur Nein gerufen. Sie haben eine Alternative entwickelt. Auch sie wollen für Antragsteller aus Nordafrika beschleunigte Verfahren. Deshalb sind sie bereit, deren Verfahren in gesonderten Einrichtungen zu prüfen. Aber sie lehnen eine Kategorisierung in sichere Herkunftsstaaten ab und wollen jede Beschleunigung von der jeweiligen Anerkennungsquote abhängig machen. Sinkt diese bei einem Land unter drei Prozent, soll für alle Bewerber von dort das Verfahren schneller laufen. Steigt die Quote über diese Grenze an, soll die Beschleunigung genauso schnell wieder beendet werden. Erreicht werden soll eine Beschleunigung nicht durch Streichung eines Prüfungsschritts, sondern indem man das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entlastet. Deshalb schlagen sie vor, Altfälle vorzeitig zu beenden. Alle Flüchtlinge, die länger als ein Jahr auf einen Bescheid warten, sollen die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Damit würde das Bamf um 100 000 Fälle entlastet.

Letzteres freilich ist der Hauptknackpunkt für die Regierung. Die CSU und Teile der CDU würden einer Altfallregelung kaum zustimmen. Deshalb sieht die Regierung in dem Vorschlag eine Provokation, nicht einen Kompromissvorschlag.

Für die Grünen dürften vor allem zwei Motive eine Rolle spielen. Erstens ihre Abneigung gegenüber den "sicheren Herkunftsstaaten", weil sie unter anderem die Beweislastumkehr scharf ablehnen. Sie befürchten, dass das vor allem Homosexuellen und Regimekritikern das Leben erschweren würde. Außerdem hat sich die Wettbewerbssituation bei den Grünen ein Jahr vor der Bundestagswahl massiv verändert. Mit dem Wettbewerb um die Spitzenkandidatur mühen sich alle Kandidaten um Profilierung und müssen zugleich darauf achten, sich dabei nicht zu sehr nur auf die Fundis oder die Realos zu stützen. Das gilt auch für den Schleswig-Holsteiner Robert Habeck, der am Alternativmodell mitgearbeitet hat. Er gilt als Verbündeter von Kretschmann. Deshalb war er offenbar bemüht, sich in einer zentralen Frage mal von Kretschmanns Linie abzusetzen.

Auch die hessischen Grünen, die bislang meist an der Seite Kretschmanns standen, beharren auf glasklaren Zugeständnissen der Regierung. Eine Protokollerklärung, wie sie Kretschmann anstrebte, werde nicht reichen, hieß es. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte schon vor Monaten in Berlin erfolglos angemahnt, einen Kompromiss mit den Grünen anzustreben. Er war dem Vernehmen nach über die mangelnden Bemühungen sehr verärgert. Der Grünen-Fraktionschef im hessischen Landtag, Mathias Wagner, sagte nun, man werde weiter mit der Regierung sprechen. Und wenn es jetzt nichts werde, könne man nach der Sommerpause ja weiter machen.

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