Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:So viel kostet die Festung Europa

  • Das Datenprojekt Migrants Files hat einen Teil der Kosten für die Abschottungspolitik der EU zusammengetragen.
  • Die meisten Kosten entstehen bei der Abschiebung von Flüchtlingen. Zwischen 2000 und 2014 haben die Mitgliedsstaaten sowie Norwegen und die Schweiz dafür 11,3 Milliarden Euro ausgegeben.
  • 1,6 Milliarden Euro entfallen auf Grenzschutzmaßnahmen.

Von Antonie Rietzschel

Vier Meter hoch, 175 Kilometer lang. Mit einem Drahtzaun will Ungarn künftig die Grenze zu Serbien sichern - vor Flüchtlingen. Auch andere Staaten hätten entsprechende Maßnahmen ergriffen, rechtfertigt die rechtsnationale Regierung diesen Schritt. Sie hat recht. Ein Zaun trennt die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla von Afrika. Ein Zaun steht an der griechisch-türkischen Grenze. Europa wird mehr und mehr zur Festung, die von Ungarn geplante Grenzanlage ist dafür nur ein weiteres Symbol.

Die EU setzt bei der Flüchtlingsproblematik seit Jahren vor allem auf das Prinzip der Abschreckung und der Abschottung. Das Datenprojekt Migrants Files hat zuletzt im Rahmen einer Recherche den Tod Tausender Flüchtlinge dokumentiert. Nun haben sich Journalisten aus 17 Ländern daran gemacht, die Kosten der Festung Europa zusammenzutragen. Die Daten liegen der Süddeutschen Zeitung vor. Milliarden fließen in eine Politik, die viel Leid produziert aber auch realitätsfern ist. Denn die Not in der eigenen Heimat hat für viele Flüchtlinge einen größeren Schrecken als schwer gesicherte Grenzanlagen oder die Tiefen des Mittelmeers.

Abschiebungen kosten die EU am meisten

"Freiheit für Laila" fordern derzeit die Freunde einer jungen Afghanin in Österreich. Laila sollte eigentlich nach Bulgarien abgeschoben werden. Die Airline entschied sich jedoch dagegen, sie mitzunehmen. Durch den öffentlichen Druck hat Laila vielleicht die Möglichkeit zu bleiben. Tausende Flüchtlinge werden aber jedes Jahr in aller Stille ausgewiesen. Entweder müssen sie dorthin, wo sie zum ersten Mal offiziell in der EU registriert wurden oder zurück in die Heimat (Zahl der Abschiebungen per Flugzeug in Deutschland).

Abschiebungen machen den Recherchen von Migrants Files zufolge den höchsten Kostenpunkt in der europäischen Abschottungspolitik aus. Seit 2000 haben die EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen und die Schweiz 11,3 Milliarden Euro für Abschiebungen ausgegeben. Die Ausgaben für den zweitgrößten Posten, die Grenzschutztechnik wirken im Vergleich gering:

Für die Berechnung der Kosten mussten die Journalisten Schätzungen vornehmen, da nicht jedes Land die Ausgaben für Abschiebungen umfassend dokumentiert. So wird in Schweden nur der Transport angerechnet, genauso wie in der Schweiz. Auch für Deutschland erhielten die Journalisten nur lückenhafte Daten.

Die Abschiebung von Flüchtlingen erfolgt auch über Charterflüge. Um Kosten zu sparen, tun sich mehrere Länder zusammen. Auf dem Weg zum eigentlichen Zielland legen die Flugzeuge ein bis zwei Stopps in anderen Ländern ein, weitere Flüchtlinge gehen an Bord. Dabei entstehen in der Mitte Europas regelrechte Drehkreuze - auch in Deutschland. So schob die Bundesrepublik 2014 über den Flughafen Düsseldorf 330 Flüchtlinge per Charterflug ab - gleichzeitig gelangten aus anderen Ländern 134 Flüchtlinge in den Transitbereich, von wo sie weitertransportiert wurden:

Stark gestiegenes Budget für Frontex

Damit die Flüchtlinge erst gar nicht reinkommen, geben einzelne Mitgliedsländer riesige Summen aus, um die eigenen Außengrenzen zu schützen. Spanien hat für den Bau der meterhohen Zäune in Melilla und Ceuta 72 Millionen Euro bezahlt. Sie zu betreiben, kostet zusätzlich zehn Millionen Euro jährlich.

Der größte Kostenpunkt im Bereich Grenzschutz ist jedoch Frontex. Das Budget der Grenzpolizei stieg innerhalb der vergangenen zehn Jahre um das Sechzehnfache:

Dazu kommen die Kosten für die Frontex-Koordinierungszentren in den Mitgliedsstaaten. 2014 beliefen die sich auf 31 Millionen Euro.

Das Budget für Frontex wird sich wohl in den kommenden Jahren weiterhin erhöhen. Aufgrund der jüngsten Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer will die EU künftig stärker gegen Schlepper vorgehen. Damit kommen auch auf Frontex neue Aufgaben zu (mehr dazu hier). Im November vergangenen Jahres kam die Grenzsicherungsmission Triton hinzu und machte womöglich 5,6 Millionen aus. Derzeit werden die Mittel für die Mission weiter aufgestockt.

Rüstungsindustrie und Universitäten profitieren

Bereits seit 2003 lässt die Europäische Kommission im Bereich Grenzsicherung forschen. Damals gründete sie eine entsprechende Arbeitsgruppe. Migrants Files hat 39 Projekte untersucht, die als Teil der Arbeitsgruppe direkt durch die EU oder Europäische Luft- und Raumfahrtbehörde finanziert werden. Sie umfassen unter anderem:

  • Hilfsmittel zur Überwachung von Grenzen: Drohnen, Kameras, Satelliten
  • Die Weiterentwicklung von Scannern für Fingerabdrücke
  • Die Erforschung künstlicher Detektoren, die nicht nur explosives Material sondern auch Menschen anhand des Geruchs erkennen können.

Von 2002 bis 2013 wurden insgesamt 230 Millionen Euro für die Forschung in diesem Bereich ausgegeben. Profitiert haben auch Großkonzerne, die auch für die Rüstungsindustrie produzieren: Airbus, Finmeccanica und Thales. Sie treten selten direkt als Beteiligte auf, sondern in Form von Tochterunternehmen. Darüber hinaus profitieren auch Universitäten und Forschungseinrichtungen in ganz Europa. Es ergibt sich ein engmaschiges Netzwerk aus Akteuren, die im Rahmen der Forschung von der Abschottungspolitik profitieren, wie diese Grafik zeigt. Die grünen Punkte sind zentrale Projekte, die kleineren gelben Punkte zeigen die Unternehmen oder Forschungseinrichtungen, die daran beteiligt sind:

Grafik: Standard

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