Flüchtlingspolitik:Schwieriges Gelände

Flüchtlinge auf Lesbos

In einem Olivenhain neben dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist ein wildes Lager entstanden, in dem hauptsächlich Syrer und Iraker kampieren.

(Foto: Jakob Berr)

Asylrecht vereinheitlichen, Flüchtlinge gerecht verteilen: Seit Jahren stößt die EU dabei an die Grenzen ihrer Gemeinsamkeit. Auch die Experten auf einer Anhörung im Bundestag sind uneins.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Man sollte sich so eine Anhörung im Bundestag nicht als dröge und irgendwie blutleere Veranstaltung vorstellen. Am Montag jedenfalls wurde im Innenausschuss des Parlaments zunächst ein kleines Gedicht vorgetragen. Dann fielen Worte wie "gravierende Menschenrechtsverletzungen", "unrealistisch" und "völlig verfehlt". Und am Ende war man sich darin einig, dass über eine gemeinsame europäische Asylpolitik so leicht keine Einigung zu finden ist.

Zehn Sachverständige äußerten sich im Innenausschuss des Parlaments am Montag zum Vorhaben der EU-Kommission, das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu harmonisieren. Seit 2016 und bereits im dritten Anlauf versucht Brüssel, in allen Staaten der Gemeinschaft einheitliche Standards beim Asylrecht durchzusetzen, Flüchtlinge gerechter zu verteilen und die Leistungen für Asylbewerber zu harmonisieren. Ziel sei es, so hieß es 2016, "Sekundärbewegungen und Verfahrensmissbrauch"einzudämmen.

Ein Berater der AfD hat auch das Wort. Niemand geht auf seine apokalyptische Warnung ein

Nach der Dublin-Verordnung ist für jeden Flüchtling in der EU und sein Verfahren derjenige Staat zuständig, in dem er beim Eintritt in die EU als erstes registriert wurde - eigentlich. De facto sind Länder wie Italien oder Bulgarien, die mit überproportional hohen Zahlen von Neuankömmlingen konfrontiert sind, längst dazu übergegangen, Asylbewerber in andere Länder weiterreisen zu lassen. Viele Flüchtlinge wollen auch zu Angehörigen in andere EU-Staaten oder entscheiden sich für Länder wie Deutschland oder Schweden, weil dort humanitäre Standards, staatliche Leistungen und das gesellschaftliche Klima besser sind als im Erstankunftsland.

Rücküberstellt in den Staat des Ersteintritts in die EU werden trotz Dublin-Verordnung vergleichsweise wenige Flüchtlinge, auch, weil Staaten wie Italien oder Griechenland sich ohnehin überlastet fühlen. Die EU-Kommission will das ändern. Leistungen für Asylbewerber sollen in der EU angeglichen, werden, um die Anreize zur Weiterwanderung zu reduzieren. Residenzpflichten sollen verschärft und Flüchtlinge konsequenter zurückgeschickt werden, sowohl in europäische Eintrittsstaaten als auch in andere Transitstaaten auf der Fluchtroute. Wer bleiben darf, soll nach einem festen Schüssel in der EU verteilt werden - was bisher auch am Widerstand osteuropäischer Staaten scheitert.

Die Bundesregierung unterstützt den Vorstoß der EU-Kommission. Menschenrechtsgruppen und Kirchen hingegen warnen, hinter dem Begriff "Harmonisierung" des europäischen Asylsystems stecke der Versuch, hohe humanitäre Standards wie die der Genfer Flüchtlingskonvention auszuhöhlen oder den in Deutschland garantierten individuellen Anspruch auf Asyl. Wer Geflüchtete von einem Land zum nächsten weiterreiche, verlagere Probleme nur an die EU-Außengrenzen.

Linkspartei und Grüne beantragten nun eine Expertenanhörung im Bundestag. Die Linke will, dass Asylsuchende ihr Aufnahmeland in der EU "entsprechend familiärer, sozialer oder sprachlicher Bindungen aussuchen können". Die Grünen warnen davor, der europäischen Asylpolitik eine "extrem restriktive Tendenz" zu geben. Denn das GEAS kommt, wird es aus Brüssel per Verordnung durchgesetzt. Die nationalen Parlamente müssten im Ernstfall gar nicht mehr zustimmen.

Im Innenausschuss stießen die Warnungen von Linken und Grünen nur bedingt auf Zuspruch. Als erster äußerte sich Dieter Amann, Berater der AfD im baden-württembergischen Landtag. Einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention könne er in den Plänen der EU nicht erkennen, sagte er. Wenn nicht zügig gehandelt werde, würden die Europäer von Milliarden Afrikanern "ausgelöscht". Es folgte ein Gedicht, in dem Flüchtlinge "den Tod im nassen Element" finden.

Kerstin Becker vom Paritätischen Gesamtverband sagte, von einer Überforderung des europäischen Asylsystems könne "keine Rede" sei. Flüchtlinge in Krisenregionen am Rand der EU zu schicken, berge das "Risiko gravierender Menschenrechtsverletzungen" besonders bei Kindern. Ähnlich äußerte sich Katharina Stamm von der Diakonie. Die Türkei habe 3,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, "mehr als die gesamte EU zusammen". Flüchtlingsverfahren schon an den EU-Außengrenzen abschließen zu wollen und Standards beim Flüchtlingsschutz abzusenken, sei "völlig verfehlt". Ganz anders sah das der Konstanzer Rechtsprofessor Kay Hailbronner. "An die Stelle des Dubliner Verschiebebahnhofs mit funktionsunfähigen Zügen sollten Asylbewerber bei der Ersteinreise in einen EU-Mitgliedsstaat registriert und unmittelbar einem zuständigen Staat zugewiesen werden", heißt es in seiner Stellungnahme. Flüchtlinge hätten kein Recht, sich in der EU das Land mit den höchsten Sozialstandards auszusuchen. Der Politikberater Gerald Knaus, der als Erfinder des EU-Türkei-Abkommens gilt, mahnte mehr Realismus an. Rund 100 000 Menschen seien 2016 aus westafrikanischen Länder nach Italien gekommen, und trotz einer geringen Anerkennungsquote habe man nur 260 zurückgeschickt. "Das ist ein Magnet", sagte er. "Wir sind nicht in der Lage, schnelle und effektive Entscheidungen zu treffen." Dies müsse sich ändern, auch durch bessere Abkommen mit Herkunftsstaaten.

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