Was tun nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos? Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat zusammen mit Margaritis Schinas, dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, über die aktuelle Lage in Griechenland und Konsequenzen aus dem Brand informiert.
Seehofer verwies in seinem Stattement auf drei Punkte, die jetzt besonders wichtig seien: Zum Ersten müsste den Menschen vor Ort geholfen werden, mit Unterkünften und Versorgung. Die griechische Regierung habe Deutschland eine Bedarfsliste übermittelt, und deutsche Hilfsorganisationen würden nun versuchen, alles zusammenzustellen, was benötigt wird. Staatssekretär Helmut Teichmann wies dazu auf das Technische Hilfswerk hin, das seit dem Morgen bereits mit 1400 Feldbetten unterwegs nach Griechenland sei. "Und es geht weiter, mit Hochdruck", so Seehofer.
Darüber hinaus hätten Deutschland und Frankreich zusammen mit acht weiteren EU-oder Schengen-Staaten beschlossen, 400 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Frankreich und Deutschland würden jeweils etwa 100 bis 150 davon ins Land holen. 50 Kinder könnten die Niederlande aufnehmen. Weitere Angebote stammten aus Finnland, Luxemburg, Slowenien, Kroatien, Portugal, Belgien und auch dem Nicht-EU-Land Schweiz. Österreich beteiligt sich nicht. Auf diesen ersten Schritt soll ein weiterer folgen, bei dem man sich auf Familien konzentrieren werde - allerdings immer im europäischen Verbund.
Als dritten Punkt betonte Seehofer die Bedeutung einer europäischen Lösung. Man müsse "endlich ein gemeinsames Asylrecht bekommen", sagte der Innenminister. Die EU-Kommission wolle am 30. September Vorschläge für eine gemeinsame Lösung vorlegen. Die Migrationsthematik sei eine globale, die Europa noch viele Jahre beschäftigen werde - und eine europäische und globale Lösung verlange.
Margaritis Schinas erklärte, es solle auf Lesbos ein neues Aufnahmelager geben, das zu finanzieren die Europäische Kommission bereit sei. Auch gebe es Erwägungen, dass die Kommission eine aktivere Rolle beim Management des neuen Zentrums spielen solle. Das wäre eine bedeutende Änderung des bisherigen Systems, denn dies alles liegt bisher in nationaler Hand, und die Staaten achten in diesem Bereich penibel auf ihre Souveränität.
Wann das Lager errichtet werde, konnte Schinas nicht sagen - entsprechende Gespräche würde er nun mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis führen. Es sollte aber "so schnell wie möglich" geschehen.
Schinas zufolge will die Kommission am 30. September einen neuen Anlauf für eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik vorlegen. Die Initiative habe drei Elemente. Einerseits wolle man mit größerer Hilfe für Entwicklungsländer dafür sorgen, dass Menschen gar nicht erst ihre Heimat verließen. Zum anderen wolle man die EU-Außengrenzen besser und "robust" mit einer neuen Küstenwache und mehr Personal schützen. Drittens wolle man ein dauerhaftes System von Solidarität unter allen EU-Staaten erreichen, um die Herausforderungen durch Asylbewerber zu bewältigen. Er räumte ein, dass die EU-Kommission 2016 mit einem ersten Anlauf gescheitert sei, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu vereinbaren. "Moria ist für uns eine sehr starke Mahnung hinsichtlich dessen, was wir in Europa ändern müssen", sagte er mit Blick auf das abgebrannte Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos.
Seehofer äußerte seine Hoffnung, dass "alles, was wir heute hier sagen, möglichst rasch umgesetzt wird". Das für Lesbos geplante Zentrum könnte ihm zufolge eine Blaupause sein für entsprechende Einrichtungen, die in den "Erstankunftsländern" Zypern, Malta, Spanien und Italien helfen könnten.
Hilfsangebote aus Deutschland
Auch der Bundestag will heute über eine Aufnahme von Migranten diskutieren. Die Debatte folgt einem Antrag der Fraktion der Linken. Sie fordert die Bundesregierung auf, "in einem ersten Schritt die rund 13 000 Menschen, die durch die Brände in Moria obdachlos geworden sind, aufzunehmen, soweit diese nicht in andere aufnahmebereite Länder möchten".
So weit will die Regierung bislang nicht gehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen - mit anderen EU-Ländern zusammen - bislang erst einmal die auch von Seehofer bestätigten 400 unbegleitete nMinderjährige einreisen lassen.
Zu deutlich mehr sind die Oberbürgermeister von zehn deutschen Städten bereit. Sie haben in einem Brief an Merkel und Seehofer erklärt, sie wären bereit, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Ihr Angebot, mehr zu helfen, ist nicht neu. Die Städte signalisieren bereits seit zwei Jahren ihre Bereitschaft, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Auch der Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet (CDU), signalisierte die Bereitschaft, in dem Bundesland bis zu 1000 Flüchtlinge aufzunehmen.
Allerdings dürfen deutsche Kommunen und Bundesländer Flüchtlinge nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung aufnehmen. Und das Bundesinnenministerium lehnt es bislang ab, dass Deutschland im Alleingang Flüchtlinge aus Griechenland aufnimmt. Seehofer und Merkel wünschen sich eine europäische Initiative.
Auch 25 SPD-Bundestagsabgeordnete haben in einem Brief an den Minister appelliert, sich für eine Evakuierung der Lagers Moria einzusetzen. Und aus der Unionsfraktion hat Seehofer ebenfalls einen Brief erhalten: 16 Unionsabgeordnete fordern die Aufnahme von 5000 Flüchtlingen. "Wir bitten Sie darum, dass Deutschland möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten, aber notfalls auch alleine, 5000 Flüchtlinge vom griechischen Festland aufnimmt", heißt es in dem Schreiben. Es gehe jetzt nicht vorrangig darum, europäische Flüchtlingspolitik zu gestalten, "sondern offensichtliche menschliche Not zu lindern".
Einer der Unterzeichner ist der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er glaubt nicht an eine gesamteuropäische Reaktion auf den Brand von Moria. Die Blockadehaltung einzelner EU-Mitglieder in der Frage sei "zementiert", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". "Die Ablehnung Einzelner darf nicht dazu führen, dass wir als Europäer in Geiselhaft genommen werden." Daher müsse jetzt eine Gruppe von Staaten vorangehen und praktische Lösungen erzielen.