Flüchtlingspolitik:Merkel: Deutsche können stolz sein

Merkel und Gabriel nach Koalitonsausschuss

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht neben Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel während einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses

(Foto: dpa)
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt Bürgern und Behörden für das Engagement für die Flüchtlinge und sagt, die Deutschen könnten stolz sein auf ihr Land.
  • Von Pro Asyl und dem Menschenrechtsbeauftragten der Regierung kommt Kritik am neuen Maßnahmenpaket der Regierung. Die Grünen zeigen sich vorsichtig aufgeschlossen.
  • Der Bund will 2016 sechs Milliarden Euro mehr ausgeben und Kosovo, Albanien sowie Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Außerdem sollen Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen statt Bargeld Sachleistungen erhalten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) haben sich bei den Bürgern und Behörden für das Engagement bedankt, mit dem sie die Flüchtlinge in den vergangenen Tagen aufgenommen haben. Das könne die Deutschen "ein Stück weit auch stolz machen auf unser Land", sagte Merkel auf einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin.

Auch die internationale Anerkennung der Aufnahmebereitschaft Deutschlands sei "etwas sehr Wertvolles, wenn man einen Blick in unsere Geschichte wirft", sagte die Kanzlerin. Sie freue sich, "dass Deutschland auch ein Land geworden ist, mit dem viele Menschen außerhalb Deutschlands Hoffnungen verbinden". Von den übrigen Europäern forderte Merkel Solidarität und eine faire Verteilung der Flüchtlinge.

Gabriel sagte, auch die Aufnahme von 800 000 Flüchtlingen dieses Jahr könne Deutschland dank seiner wirtschaftlichen Stärke und solider Finanzen meistern. In dem jetzt beschlossenen Maßnahmenpaket zur Asyl- und Flüchtlingspolitik kündigt die Regierungskoalition sechs Milliarden Euro an, die bereitgestellt werden sollen. Merkel sagte, auch eine Größenordnung von zehn Milliarden, die nötig werden könnten, erscheine ihr "nicht völlig unplausibel".

Die Kanzlerin betonte, dass zwar weiterhin für alle Mitgliedsstaaten der EU das Dublin-System gelte - demnach ist das Land für das Asylverfahren zuständig, in dem ein Flüchtling in der EU ankommt. Das gegenwärtige System der Flüchtlingspolitik sei allerdings gescheitert. "Die ganze Asylpolitik, so wie sie im Moment stattfindet in der EU, funktioniert so nicht", sagte sie. Nach dem Willen der großen Koalition sollte es künftig ein in allen Mitgliedsländern einheitliches Asylverfahren geben.

Anlass der Pressekonferenz war das Maßnahmenpaket zur Asyl- und Flüchtlingspolitik, auf das sich Union und SPD in Berlin verständigt haben. Die Pläne stoßen auf Zustimmung, aber auch auf Kritik.

So zeigte sich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in München zufrieden mit den Beschlüssen, dass der Bund 2016 sechs Milliarden Euro mehr ausgeben will, zugleich aber Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Außerdem sollen Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen statt Bargeld Sachleistungen erhalten.

Es handle sich um einen wichtigen Zwischenschritt, "um Menschlichkeit und Ordnung bei der Asylfrage sicherzustellen", erklärte Scheuer. Der Politiker ließ bei der Gelegenheit allerdings erneut durchblicken, dass seiner Meinung nach die Zahl der Asylbewerber zu hoch sei und viele aus dem falschen Grund nach Deutschland wollten: "Unsere Anliegen zur Begrenzung des Zustroms wurden aufgegriffen, es gibt künftig weniger Anreize für unbegründete Asylanträge in Deutschland", sagte Scheuer. Jetzt könne man sich mehr auf die wirklich Schutzbedürftigen konzentrieren und eine Überforderung verhindern.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte im ARD-Morgenmagazin: "Wir wissen, dass der im Vergleich mit anderen Ländern relativ hohe Betrag an Geldleistung ein Anreiz ist, dass Flüchtlinge nach Deutschland wollen." Sie begrüßte, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klar gesagt habe, die schnelle Aufnahme Tausender Flüchtlinge sei eine Ausnahmesituation gewesen.

Grüne vorsichtig aufgeschlossen

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bezeichnete die Ergebnisse als "ordentliche" Verhandlungsgrundlage. Allerdings sei die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten für Flüchtlingsunterbringung und -betreuung unzureichend. "Hier kann es nicht um Einmalzahlungen gehen, da muss eine Zusage für eine strukturelle finanzielle Beteiligung erfolgen", sagte Kretschmann in Stuttgart.

Kretschmann hatte vor einem Jahr im Bundesrat zugestimmt, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer einzuordnen. Nun gab er sich auch offen für eine Ausweitung der Liste. Zuerst müssten ihm zufolge jedoch die bisherigen Erfahrungen ausgewertet werden. Für die Ausweitung benötigt die schwarz-rote Bundesregierung im Bundesrat die Unterstützung der in den Bundesländern mitregierenden Grünen.

Die Grünen-Chefin Simone Peter sagte im Sender n-tv, in den Beschlüssen sei viel Ängstlichkeit zu spüren, und wenig Willkommenskultur. "Wenn das vor allem Symbolpolitik ist, dann ist das mit uns nicht zu machen", sagte sie auf Phoenix. Aber "wenn es wirklich hilft, Flüchtlinge unterzubringen und gut zu versorgen, dann sind wir mit dabei."

Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir. Ob die grün mitregierten Länder die Maßnahmen mittragen würden, müsse erst noch geprüft werden. "Das verhandeln wir jetzt im Detail. Da ist einiges dabei, was in die richtige Richtung geht."

"Dem Asylrecht insgesamt fremd"

Kritik kam vom Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD). Eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen durch eine Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer sei der falsche Ansatz, sagte er in der ARD: "Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist eines, was dem Asylrecht insgesamt fremd ist." Schließlich handle es sich dabei um den Individualanspruch eines jeden Flüchtlings.

Auch den Plan, häufiger Sachleistungen als Bargeld auszugeben, hält Strässer für einen falschen Weg. Er glaube nicht, dass etwa durch Barleistung von beispielsweise 40 Euro Taschengeld monatlich Menschen bewegt würden, nach Deutschland zu kommen, sagte Strässer. Sie auf bestimmte Leistungen zu reduzieren, behindere sie in ihrer Menschenwüde. Die Umstellung sei deshalb "ein völlig falscher Weg".

Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ist nicht einverstanden mit den Plänen der Regierung. Die Balkanstaaten wären keine sicheren Herkunftsländer, auch wenn es aus manchen Arbeitsmigration gebe, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt Zeit online. Auch er kritisierte, dass Sachleistungen nicht geeignet wären, Flüchtlinge im Sinne des Grundgesetzes menschenwürdig zu versorgen.

Dietmar Bartsch, Fraktionsvize der Linken im Bundestag, begrüßte im SWR, dass die Kommunen entlastet und die Stellen bei der Bundespolizei aufgestockt werden sollten. Grundsätzlich richtig sei auch, dass sich Union und SPD um die Bekämpfung der Fluchtursachen kümmern wollten. Ihm fehle allerdings eine klare Zusage, die Ausgaben für Entwicklungspolitik angemessen anzuheben. Außerdem ginge es in die falsche Richtung, "wenn das Thema der sicheren Herkunftsländer so nach oben gestellt wird".

Die Pläne der Regierung im Überblick:

  • Der Bund will im Haushalt 2016 seine Ausgaben für Flüchtlingspolitik um drei Milliarden Euro erhöhen. Länder und Kommunen sollen ebenfalls drei Milliarden Euro bekommen.
  • Kosovo, Albanien und Montenegro werden per Gesetz zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt. Für Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gilt dies bereits.
  • Asylbewerber sollen in den Erstaufnahmeeinrichtungen statt Bargeld Sachleistungen erhalten.
  • Der Bund wird den Ausbau von etwa 150 000 winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge unterstützen.
  • Die Bundespolizei soll in den kommenden drei Jahren 3000 zusätzliche Stellen bekommen, der Bundesfreiwilligendienst um bis zu 10 000 neue Stellen aufgestockt werden.
  • Das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete entfällt nach drei Monaten. In den Jobcentern soll das Personal aufgestockt werden.
  • Die Entscheidung vom Wochenende, Tausende Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu holen, soll eine Ausnahme bleiben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: