Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Italien und Libyen schließen umstrittene Flüchtlingsvereinbarung

  • Am Donnerstagabend hat Italien eine Einverständnisnotiz mit Libyen unterzeichnet, um Flüchtlinge davon abzuhalten, über das Mittelmeer zu fliehen.
  • Es ist Teil eines größeren Abkommens, dass die EU insgesamt mit Libyen schließen will.
  • Das Abkommen ist sehr umstritten, weil Flüchtlinge in Libyen nicht sicher sind: Folter, Vergewaltigungen und Erschießungen sind an der Tagesordnung.

Schon die Lage der Insel Malta ist symbolisch: Zwischen Italien und Libyen, zwischen Afrika und Europa. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden hier am Freitag mit dem libyschen Premierminister Fajez al-Sarraj zusammentreffen, um gemeinsam zu beraten, wie man künftig mehr Flüchtlinge davon abhalten könne, über das Bürgerkriegsland in Richtung Europa zu fliehen.

Einen deutlichen Schritt in diese Richtung tat am Donnerstagabend bereits Italien: Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni unterzeichnete mit al-Sarraj in Rom eine Einverständnisnotiz. Sie besagt, dass die libysche Küstenwache und der Grenzschutz den europäischen Kampf gegen illegale Einwanderung künftig unterstützen sollen. Das Abkommen sieht außerdem vor, dass die libysche Südgrenze, über die viele Migranten aus anderen afrikanischen Ländern nach Libyen kommen, besser geschützt werden soll.

Folter, Vergewaltigung und Erschießungen sind in Libyen an der Tagesordnung

"Unser wichtigstes Ziel für den Malta-Gipfel ist, den Strom irregulärer Migration nach Europa einzudämmen", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstagabend in Valletta. "Ich kann sagen, dass dieses Ziel in Reichweite ist."

Rund 180 000 Menschen erreichten im vergangenen Jahr Europa über das zentrale Mittelmeer. Diese Route will die EU nun schließen. Sie setzt dafür auf eine bessere Ausbildung der libyschen Küstenwache. Diese soll Schlepperboote abfangen und die Menschen zurück nach Nordafrika bringen. Flüchtlinge würden dann zumindest vorerst in dem nordafrikanischen Land bleiben müssen.

Doch die Lage in Libyen ist katastrophal. Dort herrschen politisches Chaos und Gewalt. Deutsche Diplomaten prangerten in einem internen Lagebericht kürzlich "KZ-ähnliche Verhältinsse" an. Schmuggler hielten Migranten in illegalen Privatgefängnissen fest; Folter, Vergewaltigungen und das Aussetzen von Menschen in der Wüste seien an der Tagesordnung.

Auch ein weiteres Detail aus dem Bericht ist erschreckend: "Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, d. h. den menschlichen 'Durchsatz' und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen."

Hilfsorganisationen kritisieren das geplante Abkommen der EU mit Libyen

Mehrere Hilfsorganisationen haben deshalb schon vor dem EU-Gipfel scharfe Kritik an den geplanten Beschlüssen zur Eindämmung der unerwünschten Migration aus Afrika geübt. Eine Zusammenarbeit mit Libyen, die vor allem der Abwehr von Migranten und Flüchtlingen diene, werfe die europäischen Grundwerte über Bord, kritisierte Oxfam am Donnerstag. Die Organisation Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband sprachen in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel von einem "Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik". Sie fordern legale und gefahrenfreie Zugangswege nach Europa.

In dem Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels heißt es zu diesem Punkt, alle Maßnahmen würden gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und der Internationalen Organisation für Migration unter "voller Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts" veranlasst.

Konkrete Fortschritte soll es bereits in den kommenden Monaten geben. In dem Textentwurf wird die derzeitige maltesische EU-Ratspräsidentschaft aufgerufen, so schnell wie möglich einen Fahrplan vorzulegen. Beim EU-Gipfel im Juni soll dann über die ersten Erfolge berichtet werden können.

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