Flüchtlingspolitik:Im Herzen des Asylstreits

Feuer in Flüchtlings-Kunstprojekt ´Das Haus der 28 Türen"

Das Kunstprojekt "Haus der 28 Türen" am Oranienplatz sollte an die Abschottungspolitik der EU erinnern. Vor einigen Wochen brannte es ab.

(Foto: dpa)

Bis vor einem Jahr wohnten Flüchtlinge auf dem Oranienplatz in Kreuzberg, nun protestieren linke Aktivisten hier gegen die deutsche Asylpolitik. Ein symbolischer Ort dafür, wie die Flüchtlingsdebatte die Politik in Bedrängnis bringt.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Es ist ein typisch deutsches Beamtenwort, das den französischen Rapsong des Sängers Ken immer wieder unterbricht: Residenzpflicht. Der Musiker rappt über deutsche Asylpolitik, auf einer Bühne auf dem Oranienplatz mitten im alternativen Berliner Stadtteil Kreuzberg. "Kein Mensch ist illegal", singt er in gebrochenem Deutsch. Eine Parole, die wohl jeder der ungefähr 1000 Menschen, die hier nachmittags in der noch kühlen Frühlingssonne stehen, unterstützen dürfte.

"Bedingungsloses Bleiberecht für alle" fordern die Organisatoren der Demo auf dem Oranienplatz, zu der mehr und mehr Menschen strömen. Unterbrochen wird die Musik auf der Bühne immer wieder von Redebeiträgen. "Immer die Fresse aufmachen", fordert ein Vertreter der Gruppe "Hände weg vom Wedding", die von der Bühne "solidarische Grüße" an die Kreuzberger schickt. "We are here, we will fight - freedom of movement is everybody's right", lässt ein anderer Redner die Menge skandieren.

Es ist die übliche Kreuzberger Mischung, die sich hier versammelt hat. Junge Menschen mit bunten Haaren sitzen mit Bierflaschen auf den Rasenflächen, ein Anfang 20-Jähriger trägt eine Fahne mit der Aufschrift "Rote Hilfe e.V.", am Rand bieten Flüchtlingsorganisationen in verschiedenen Sprachen Schlafplätze an. Es riecht nach Marihuana, die Musik dröhnt laut. Politik ist in Kreuzberg immer auch ein wenig Party. Doch das bedeutet nicht, dass es den Leuten hier nicht bitterernst ist mit dem Protest an einem für die Flüchtlingsdebatte symbolischen Ort.

Kristallisationspunkt der Flüchtlingsdebatte

Auf dem Oranienplatz campierte bis vor einem Jahr eine Gruppe Flüchtlinge, die sich gemeinsam mit anderen aus ganz Deutschland nach Berlin aufgemacht hatte, um gegen das deutsche Asylrecht zu demonstrieren. Anderthalb Jahre hatten die Menschen dort in Zelten und Bretterbuden gewohnt, bis die zuständigen Behörden ihr Lager im April 2014 räumen ließen. Es blieb das "Haus der 28 Türen", eine Kunstinstallation, die auf die Abschottungspolitik der Europäischen Union gegenüber Flüchtlingen hinweisen soll. Vor ein paar Wochen brannte sie nachts ab, nur ein Gerippe blieb übrig. Die Polizei geht von einem Anschlag aus.

Berlin ist mit den stetig ansteigenden Flüchtlingszahlen genauso überfordert wie viele andere Städten in Deutschland. Politik und Behörden, aber auch Anwohner und Flüchtlingsunterstützer debattieren seit Monaten über den richtigen Umgang mit den Menschen, die aus ihren armen oder vom Krieg zerstörten Ländern nach Europa kommen. Denn obwohl schrecklich viele von ihnen schon vor den Grenzen des reichen Kontinents sterben, schaffen es doch immer mehr, bis in sein Herz vorzudringen.

In zahlreichen deutschen Städten errichten die Behörden eine Notunterkunft nach der nächsten, verhandeln mit Anwohnern, Flüchtlingsgegnern und Unterstützern über jedes neue Heim. Die Frage "Wohin mit den Flüchtlingen?" ist damit jedoch nur oberflächlich beantwortet, in der Debatte geht es nicht nur um ein Dach über dem Kopf. Was tun mit den Flüchtlingen?, wäre wohl die präzisere Frage. Für die Menschen auf dem Oranienplatz ist die Antwort klar: "Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht, überall", rufen sie hier.

Es muss geredet werden - doch Reden alleine hilft nicht

Der alternative Stadtteil Kreuzberg, in dem der Platz liegt, ist seit Jahren Kristallisationspunkt der Berliner Asyldebatte. Ganz in der Nähe, in der Ohlauer Straße, wohnen etwa 30 Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Immer wieder drohen die Behörden mit Räumung, doch bisher weigern sich die Männer zu gehen. Ein wackeliger Frieden, der an den Nerven von Behörden, Flüchtlingen und Anwohnern zehrt.

Wieder ein paar Schritte weiter, im Görlitzer Park, entzündete sich die Flüchtlingsdebatte neu am Umgang mit den vielen Dealern, die dort hauptsächlich Marihuana verkaufen. Anwohner beschwerten sich über die Aufdringlichkeit der Männer, fürchteten um die Gesundheit ihrer Kinder, seitdem eines beim Spielen Kokain ausbuddelte. Der Senat will die Dealer vertreiben, Aktivisten und Aktivistinnen werfen insbesondere der CDU eine Anti-Asyl-Kampagne vor - viele der Dealer seien Flüchtlinge und Asylsuchende, die im Dealen die einzige Möglichkeit sähen, Geld zu verdienen.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg klebt ein bisschen unglücklich zwischen den Fronten, die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ist eigentlich keine Anhängerin repressiver Asylpolitik oder harter polizeilicher Maßnahmen. Zur Entschärfung der Situation im Görlitzer Park schlug Herrmann etwa die Einrichtung eines Coffeeshops vor. Stattdessen gilt dort seit Anfang des Monats eine verschärfte Null-Toleranz-Regel für den Besitz von Cannabis, täglich patrouillieren Polizisten durch die Gegend und durchsuchen tatsächliche oder vermeintliche Dealer. Am Sonntag wollen Flüchtlingsaktivisten auch dort demonstrieren.

Korruptionsvorwürfe und überfüllte Aufnahmestellen

Doch inzwischen ist der Umgang der Stadt mit Flüchtlingen auch anderswo Thema, die Debatte droht dem Senat zu entgleiten. Fast 25 000 Flüchtlinge leben in der Hauptstadt, dazu kommen Einwanderer aus Osteuropa. Der Berliner Rat der Bürgermeister kritisierte im März, Berlin fehle ein schlüssiges Flüchtlingskonzept - und das, obwohl die Zahlen seit Jahren anstiegen. Inzwischen kommen viele der Geflüchteten in Turnhallen und provisorischen Lagern unter, fieberhaft sucht der Senat nach neuen Standorten für Heime, errichtet Containerdörfer. In einigen Stadtteilen protestieren Anwohner gegen die Heime, doch die Unterstützer sind in Berlin bei weitem zahlreicher, präsenter und vor allem lauter.

Sie bezeichneten vor kurzem die Zustände an der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge im Bezirk Mitte als chaotisch und menschenunwürdig, stundenlang müssten auch Schwangere und Kinder in Warteschlangen ausharren. Die zuständige Behörde, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) klagt über zu wenige Mitarbeiter und Überforderung. Im Landesamt selbst laufen gerade auch noch Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts. Mitarbeiter sollen einem privaten Betreiber von Flüchtlingsheimen Vorteile verschafft haben. Einem Betreiber übrigens, der wegen der Zustände in seinen Heimen schon länger in der Kritik steht.

Auch der Sänger Peter Fox tritt am Abend auf die Bühne, als auf dem Oranienplatz schon 3000 Leute stehen. "Über Flüchtlinge und globale Gerechtigkeit muss weiter intensiv geredet werden," ließ er seine Fans schon vorher auf Facebook wissen. Dass Reden allein jedoch nicht hilft, das zeigen die Zustände in deutschen Städten schon seit einigen Monaten in einiger Deutlichkeit.

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