Es ist ein typisch deutsches Beamtenwort, das den französischen Rapsong des Sängers Ken immer wieder unterbricht: Residenzpflicht. Der Musiker rappt über deutsche Asylpolitik, auf einer Bühne auf dem Oranienplatz mitten im alternativen Berliner Stadtteil Kreuzberg. "Kein Mensch ist illegal", singt er in gebrochenem Deutsch. Eine Parole, die wohl jeder der ungefähr 1000 Menschen, die hier nachmittags in der noch kühlen Frühlingssonne stehen, unterstützen dürfte.
"Bedingungsloses Bleiberecht für alle" fordern die Organisatoren der Demo auf dem Oranienplatz, zu der mehr und mehr Menschen strömen. Unterbrochen wird die Musik auf der Bühne immer wieder von Redebeiträgen. "Immer die Fresse aufmachen", fordert ein Vertreter der Gruppe "Hände weg vom Wedding", die von der Bühne "solidarische Grüße" an die Kreuzberger schickt. "We are here, we will fight - freedom of movement is everybody's right", lässt ein anderer Redner die Menge skandieren.
Es ist die übliche Kreuzberger Mischung, die sich hier versammelt hat. Junge Menschen mit bunten Haaren sitzen mit Bierflaschen auf den Rasenflächen, ein Anfang 20-Jähriger trägt eine Fahne mit der Aufschrift "Rote Hilfe e.V.", am Rand bieten Flüchtlingsorganisationen in verschiedenen Sprachen Schlafplätze an. Es riecht nach Marihuana, die Musik dröhnt laut. Politik ist in Kreuzberg immer auch ein wenig Party. Doch das bedeutet nicht, dass es den Leuten hier nicht bitterernst ist mit dem Protest an einem für die Flüchtlingsdebatte symbolischen Ort.
Kristallisationspunkt der Flüchtlingsdebatte
Auf dem Oranienplatz campierte bis vor einem Jahr eine Gruppe Flüchtlinge, die sich gemeinsam mit anderen aus ganz Deutschland nach Berlin aufgemacht hatte, um gegen das deutsche Asylrecht zu demonstrieren. Anderthalb Jahre hatten die Menschen dort in Zelten und Bretterbuden gewohnt, bis die zuständigen Behörden ihr Lager im April 2014 räumen ließen. Es blieb das "Haus der 28 Türen", eine Kunstinstallation, die auf die Abschottungspolitik der Europäischen Union gegenüber Flüchtlingen hinweisen soll. Vor ein paar Wochen brannte sie nachts ab, nur ein Gerippe blieb übrig. Die Polizei geht von einem Anschlag aus.
Berlin ist mit den stetig ansteigenden Flüchtlingszahlen genauso überfordert wie viele andere Städten in Deutschland. Politik und Behörden, aber auch Anwohner und Flüchtlingsunterstützer debattieren seit Monaten über den richtigen Umgang mit den Menschen, die aus ihren armen oder vom Krieg zerstörten Ländern nach Europa kommen. Denn obwohl schrecklich viele von ihnen schon vor den Grenzen des reichen Kontinents sterben, schaffen es doch immer mehr, bis in sein Herz vorzudringen.
In zahlreichen deutschen Städten errichten die Behörden eine Notunterkunft nach der nächsten, verhandeln mit Anwohnern, Flüchtlingsgegnern und Unterstützern über jedes neue Heim. Die Frage "Wohin mit den Flüchtlingen?" ist damit jedoch nur oberflächlich beantwortet, in der Debatte geht es nicht nur um ein Dach über dem Kopf. Was tun mit den Flüchtlingen?, wäre wohl die präzisere Frage. Für die Menschen auf dem Oranienplatz ist die Antwort klar: "Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht, überall", rufen sie hier.