Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Harte Kritik an Abschiebungen

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Regierungskoalitionen in Bund und Ländern streiten über die Praxis; in Nordrhein-Westfalen kommt es zu einem Rücktritt.

Von Jan Heidtmann, München

Ungeachtet der teils massiven Kritik will das Bundesinnenministerium Abschiebungen forcieren - auch in Krisengebiete wie Afghanistan. Um die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Abschiebungen besser zu koordinieren, soll bald ein Konzept für eine zentrale Unterstützungsstelle vorgelegt werden. "Da ist Potenzial, das zuerst gehoben werden muss", sagte ein Ministeriumssprecher.

Die Ankündigung kommt zu einem heiklen Zeitpunkt: Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière am vergangenen Mittwoch 34 afghanische Asylbewerber gesammelt in ihr Heimatland abschieben ließ, droht diese Praxis zu einer Belastung für die Koalition aus CDU/CSU und SPD zu werden. "Diese Abschiebung ist hoch problematisch", sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Eva Högl dem Deutschlandfunk. Im Einzelfall könne eine Rückführung "sinnvoll sein, aber im großen Stil nach Afghanistan abzuschieben, das sehen wir alle kritisch". Cem Özdemir, der Vorsitzende der Grünen, wies darauf hin, dass sich der Bundestag gerade mit einer Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan befasse - "und der Innenminister will mit der Sammelabschiebung ein Zeichen setzen, dass er durchgreift." Er zeige damit, "wie viel Angst er vor AfD und Co. hat."

Besonders heftig wurde in der baden-württembergischen Regierung gestritten. Das Land hatte sich wie auch Bayern, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland an der Sammelabschiebung beteiligt und wird von einer Koalition aus Grünen und CDU regiert. Vor allem der CDU-Innenminister Thomas Strobl hatte die sechs Abschiebungen aus Baden-Württemberg betrieben. Gleichzeitig hatte sich der grüne Teil der Landesregierung gemeinsam mit der grünen Landtagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass einer der Asylbewerber nicht ausgeflogen wird. Der junge Afghane war zum Christentum konvertiert.

"Es hat wirklich eines erheblichen politischen Drucks bedurft, um diesen afghanischen Christen hier in Deutschland zu halten", sagte der grüne Innenpolitiker Uli Sckerl. Er könne es nicht verstehen, "wie der Innenminister einer Partei mit dem "C" im Parteinamen zehn Tage vor Weihnachten einen Christen nach Kabul abschiebt." Der Generalsekretär der CDU Baden-Württembergs verbat sich die Kritik an den Abschiebungen. Er führte an, dass das Asylsystem nur dann akzeptiert werde, wenn diejenigen, die ausgewiesen werden sollen, auch tatsächlich ausgewiesen würden. "Gerade als christliche Partei übernehmen wir Verantwortung und machen Politik nicht nach Jahreszeiten", sagte Manuel Hagel.

In Nordrhein-Westfalen löste die Abschiebung Streit in der rot-grünen Koalition aus. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen war nach 16 Jahren im Amt demonstrativ zurückgetreten.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2016
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