Süddeutsche Zeitung

Flüchtlings- und Migrationspolitik:Riskant, egoistisch - und kein bisschen christlich

Söder, Kurz, Salvini und Europas sonstige Nationalisten nehmen mit ihrer flüchtlingsfeindlichen Propaganda das Ende der EU in Kauf - nur um bei kommenden Wahlen Stimmen zu kassieren.

Kommentar von Stefan Ulrich

Anders, als viele Nationalisten wünschen, ist die Europäische Union noch nicht am Ende. Sie beweist immer wieder eine erstaunliche Geschlossenheit, und das, obwohl die Interessen der mehr als zwei Dutzend Mitgliedsländer oft weit auseinanderliegen. Die EU hält eine gemeinsame Linie beim Brexit, bei den Russland-Sanktionen und im heraufziehenden Handelskonflikt mit den USA. Sie arbeitet an neuen Handelsabkommen sowie daran, die Euro-Zone zu stärken und weitere Mitglieder aufzunehmen. Doch die Rechtspopulisten verstehen es, das Flüchtlingsthema als Brecheisen zu benutzen, um die gesunden Strukturen Europas auszuhebeln. Sie wollen die Menschen glauben lassen, das größte Problem der Zeit seien Flüchtlinge. Und viele Bürger fallen darauf rein.

Das macht es so schwer, den Konflikt auf europäischer Ebene zu entschärfen, wie das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag beim Gipfeltreffen in Brüssel versucht hat. Denn die Nationalisten haben gar kein Interesse an einer fairen, vernünftigen Lösung, weil ein kriselndes Europa sie immer stärker macht. Und diese Nationalisten sitzen inzwischen nicht nur in Warschau oder Budapest in den Regierungen, sondern auch in Rom, Wien und München. Sie sind ins Herz Europas vorgedrungen.

Die Italiener tragen mit den deutschen die Hauptlast der Migration

Gewiss, nicht alle von ihnen wollen die EU zerstören. Aber viele nehmen ihr Ende doch billigend in Kauf, weil sie glauben, mit flüchtlings- und europafeindlicher Propaganda bei kommenden Wahlen Stimmen kassieren zu können. Dabei tun die Europakritiker vom Bayern Markus Söder (CSU) über den Österreicher Sebastian Kurz bis hin zum Italiener Matteo Salvini so, als zögen sie an einem Strang. In Wirklichkeit passen ihre Vorstellungen und Interessen zum Teil überhaupt nicht zusammen. Die Flüchtlinge etwa, die Söder an Bayerns Grenzen zurückweisen will, möchten Kurz und Salvini mitnichten wieder aufnehmen.

In diesem Punkt ist Italien sogar zu verstehen. Es trägt, gemeinsam mit Deutschland, seit Jahren die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen, während sich viele mittelosteuropäische Staaten aus der Verantwortung stehlen. Und selbst ein europafreundliches Land wie Frankreich lässt Italiener und Deutsche mit dem Problem ziemlich allein.

Eine Lösung auf dem Rücken der Migranten

Was können Gipfeltreffen - das nächste folgt in wenigen Tagen - da noch erreichen? Gewiss keine Lösung, die fair zu allen EU-Staaten und human zu den Flüchtlingen ist. Nachdem Deutschland auch noch der alte Verbündete Italien weggebrochen ist, steht die Bundesregierung vor einer tristen Alternative: Entweder sie akzeptiert die unfaire Lösung, wonach Deutschland auch künftig die Hauptlast trägt, was zum Zerbrechen der Union aus CDU und CSU sowie der gesamten Regierung führen kann. Oder sie schwenkt auf eine wenig humane Lösung ein, die die EU abriegelt und Migranten in Massenlagern in Nordafrika oder Albanien interniert, um die meisten von ihnen wieder in die Wüste zu schicken.

Der Zeitgeist deutet darauf hin, dass es auf Letzteres hinausläuft; womöglich kann die EU nur so erhalten bleiben. Für die Rechtspopulisten wäre eine solche Wende in der Flüchtlingspolitik ein Triumph. Sie sollten dann aber den Restanstand besitzen, sich nie mehr als Verteidiger eines christlichen Abendlandes im Zeichen des Kreuzes auszugeben. Denn christlich ist ihr Handeln weiß Gott nicht.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2018/csi
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