Flüchtlingspolitik:An Grenzen gestoßen

In der Koalition kracht es munter weiter. Aber jetzt nicht mehr zwischen CDU und CSU. Stattdessen geht es nun gemeinsam gegen die SPD.

Von Christoph Hickmann und Robert Roßmann

Als Sigmar Gabriel am Sonntag um elf Uhr das Kanzleramt verließ, da konnte man bereits erahnen, was geschehen war. Denn Angela Merkel und Horst Seehofer blieben drinnen. Sie sprachen weiter, ohne den SPD-Chef.

Kaum eine Gelegenheit hatte der CSU-Vorsitzende in den Tagen und Wochen zuvor ausgelassen, um die Kanzlerin unter Druck zu setzen - sogar ein Ultimatum hatte er ihr gestellt und bis zu diesem Sonntag weitere Schritte gefordert, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Und nun saßen ausgerechnet diese beiden scheinbar Entzweiten weiter zusammen, nachdem sie sich auch am Abend zuvor schon ausgiebig gesprochen hatten? Das konnte nur eines heißen: CDU und CSU schließen zumindest vorerst ihre Reihen. Für die SPD dürfte es deshalb ungemütlicher werden.

In den Tagen vor dem mit Spannung erwarteten Gipfeltreffen hatten die Sozialdemokraten den Streit innerhalb der Union sichtlich genossen. Zugleich hatten sie immer wieder klargemacht, dass Transitzonen an den Grenzen, wie sie vor allem die CSU gefordert hatte, mit ihnen nicht zu machen seien. Am Samstag hatte Gabriel dann einen eigenen Vorschlag präsentiert. Anstelle der Transitzonen, die "weder organisatorisch durchführbar noch rechtlich darstellbar" seien, plädierte die SPD darin für "Einreisezentren".

Die sollten, so der Vorschlag der SPD, "von Bund und Ländern in Erstaufnahmeeinrichtungen und Wartezentren betrieben werden". Nach den Vorstellungen der Sozialdemokraten soll es mindestens ein solches Zentrum pro Bundesland geben. Für Flüchtlinge wäre es verpflichtend, sich dort registrieren zu lassen - wer es nicht täte, müsste mit "Leistungskürzungen" und "Verfahrensnachteilen" im Asylverfahren rechnen. Falls Anträge "offensichtlich erfolglos" seien, so die SPD, weil die Antragsteller aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kämen, solle die Entscheidung künftig direkt im Einreisezentrum fallen können. Es könnte dann sogleich die Abschiebung folgen.

Gabriel machte klar, dass Zäune mit der SPD nicht zu machen sind

Weil der Vorschlag Sanktionen für den Fall vorsieht, dass Flüchtlinge sich nicht in den Einreisezentren registrieren lassen, kam die SPD damit der Union sogar entgegen. Allerdings machte Gabriel am Samstag zugleich eindringlich klar, dass Zäune mit der SPD nicht zu machen seien - also das Vorhaben, Flüchtlinge in solchen Einrichtungen festzuhalten. Und das sollte am Sonntag zum Knackpunkt werden.

Regierungssprecher Steffen Seibert teilte nach dem Treffen von Merkel, Gabriel und Seehofer mit, es gebe zwar "eine Vielzahl von inhaltlichen Gemeinsamkeiten", aber auch "einige noch zu klärende beziehungsweise offene Punkte". Dazu gehöre auch das Thema "Transitzonen". Dazu werde es bis Donnerstag weitere Gespräche "zwischen den Fachleuten von Bund und Ländern" geben. Dann steht das nächste Treffen zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten an. Kurz davor wollen sich die drei Parteichefs noch einmal treffen.

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze

Noch immer müssen Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze oft stundenlang im Freien ausharren, hier auf der Innbrücke im niederbayerischen Simbach.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Was das nun heißt?

Dabei muss man wohl zwischen der inhaltlichen und der politischen Konfliktlinie unterscheiden. Der Streit um die Transitzonen soll am Sonntag am Ende wegen der Frage gescheitert sein, ob es für Flüchtlinge in den Zentren freiheitseinschränkende Maßnahmen geben soll. Die SPD lehnte diese ab, die Unionsseite will sie unbedingt haben.

Seehofer findet, die Zentren müssten mit Zäunen geschützt und von Polizisten bewacht werden, denn "die Flüchtlinge dürfen nicht in Deutschland einreisen, bevor ihr Antrag geprüft ist". Von Haft könne trotzdem keine Rede sein, da es den Flüchtlingen jederzeit frei stehe, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.

Genau so wichtig wie dieser Unterschied scheint CDU, CSU und SPD derzeit aber zu sein, wie man im politischen Stellungsspiel abschneidet. Die beiden Unionsparteien versuchen gerade, ihre Differenzen auszuräumen. Im Streit um die Transitzonen können sie endlich wieder gemeinsam agieren - und zwar gegen die SPD.

Der heftige Streit zwischen der CSU und Merkel in den vergangenen Wochen hat viele Unionswähler abgeschreckt. Wenn CDU und CSU jetzt gemeinsam der SPD die Schuld daran zuschieben können, dass die in der Bevölkerung mit deutlicher Mehrheit gewünschten Transitzonen nicht Wirklichkeit werden, könnte die Union wieder Oberwasser bekommen. Genau aus diesem Grund ist die SPD alarmiert. Das Ergebnis war am Sonntag ein Kampf um die Deutungshoheit über die Gründe für das Scheitern des Krisengipfels. Jeder versuchte dem anderen die Schuld zuzuschieben.

Die Kommunen reagieren mit Verärgerung auf das ergebnislose Treffen

Dass derlei Ränkespiele statt ordentlicher Ergebnisse auf Kritik stoßen, war nicht überraschend. Es sei "ein Trauerspiel", dass die große Koalition trotz der Flüchtlingskrise "zerstritten und handlungsunfähig" sei, sagte die Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht.

Merkel und Seehofer saßen nach Gabriels Abgang dann übrigens noch mehr als fünf Stunden zusammen - assistiert von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Die vier Unionsgranden versuchten, einen Kompromiss zwischen der Wir-schaffen-das-Kanzlerin und dem Ich-will-eine-Obergrenze-Seehofer zu finden. Am Ende stand ein gemeinsames sechsseitiges Positionspapier. Darin erklären CDU und CSU es zu ihren "zentralen Zielen", die Zuwanderung zu ordnen und zu steuern, sowie Fluchtursachen zu bekämpfen, "um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren". Zu diesen zentralen Zielen gehöre es aber auch, "Menschen in Not zu helfen und die Integration Schutzbedürftiger zu sichern".

Schöner kann man die Positionen von Merkel und Seehofer wohl nicht zusammenfassen, ohne einem von beiden weh zu tun. Der CSU-Chef kann sich vor allem über den Halbsatz freuen: "um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren". CDU und CSU fordern zur Erbauung Seehofers in ihrem Papier neben den Transitzonen auch eine Beschränkung des Familiennachzugs und manches mehr. Der CSU-Chef erklärte deshalb nach dem Treffen, er "fahre für den Moment zufrieden nach Hause".

Schnell durchsetzen werden Seehofer und Merkel ihr Papier wegen des Widerstands der SPD jedoch nicht können. Aber das kann der Union erst einmal egal sein. Denn jetzt gelten wieder die alten Fronten: Union gegen SPD - statt CSU gegen CDU.

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