Flüchtlingspakt:Gabriel wirft der Türkei Erpressung vor

Sigmar Gabriel

"In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen", sagte Vizekanzler Gabriel.

(Foto: REUTERS)
  • Die Türkei verlangt, dass die Visafreiheit bis spätestens Oktober gewährt wird.
  • Gabriel verweist darauf, dass die Türkei die von der EU verlangten Voraussetzungen für die Visa-Liberalisierung noch nicht erfülle.
  • Der Flüchtlingspakt ist Kernbestandteil der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Sollte er scheitern, dürfte die Zahl der Flüchtlinge, die über die Ägäis nach Europa kommen, wieder deutlich steigen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel, und Robert Roßmann, Berlin

Die Drohung der türkischen Regierung, das Flüchtlingsabkommen mit der Europäischen Union aufzukündigen, falls die EU türkischen Bürgern keine Visafreiheit gewährt, hat in Deutschland erheblichen Unmut ausgelöst. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte am Montag: "In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen." Er verwies darauf, dass die Türkei die von der EU verlangten Voraussetzungen für die Visa-Liberalisierung noch nicht erfülle.

Die Demonstration von Anhängern des türkischen Präsidenten am Sonntag in Köln verschärfte den Konflikt zwischen Berlin und Ankara zusätzlich. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich mit einer Videoschaltung an die Demonstranten wenden wollen, dies war ihm aber gerichtlich untersagt worden. Der türkische Justizminister erklärte daraufhin, das Verbot sei eine "Schande". Die Regierung in Ankara bestellte deshalb am Montag den deutschen Gesandten ein. Weil Botschafter Martin Erdmann im Urlaub ist, nahm dessen Vertreter Robert Dölger den Termin wahr.

Bundeskanzleramt und Außenministerium bemühen sich, den Konflikt nicht weiter anzuheizen. Sie fürchten mögliche Folgen einer Aufkündigung des EU-Türkei-Abkommens. Der Pakt ist Kernbestandteil der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Sollte er scheitern, könnten wieder deutlich mehr Flüchtlinge über die Ägäis nach Europa kommen. Der Kurs der Kanzlerin wäre diskreditiert. Kanzleramt und Außenministerium sehen in der Türkei zudem ein Schlüsselland für Verhandlungen über ein Ende des Syrien-Kriegs. Merkels Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer wollte am Montag weder zu den Vorwürfen des türkischen Justizministers Stellung nehmen, noch das Ultimatum der Regierung in Ankara verurteilen.

Die EU verlangt von Ankara, den Terror-Begriff enger zu fassen

Die Türkei verlangt, dass die Visafreiheit bis spätestens Oktober gewährt wird. Der Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellte die Einbestellung des deutschen Gesandten als "tagtäglich vorkommende Normalität" dar. Zudem sehe er die Visa-Forderung der Türkei "nicht als ein Ultimatum oder eine Drohung", sagte der Sprecher.

Steinmeier selber sagte am Montag, Ankara habe die Bedingungen für die Visafreiheit noch nicht erfüllt: "Da wird die Türkei nacharbeiten müssen." Das wurde, wie nach früheren Drohungen Ankaras, auch in Brüssel betont. "Wir können die Bedingungen nicht ändern", sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Der wichtigste von fünf offenen Punkten betrifft die Anti-Terror-Gesetzgebung. Die EU verlangt von Ankara, den Terror-Begriff enger zu fassen. Zudem soll in den türkischen Gesetzen der Grundsatz der "Verhältnismäßigkeit" verankert werden, dem staatliche Eingriffe genügen müssen. Erdoğan hat selbst erklärt, dass die Türkei derzeit zu keiner Änderung bereit sei. Dennoch wird auf Experten-Ebene weiter geredet. Die Gespräche über die Terror-Gesetze laufen hauptsächlich über den Europarat. Konkrete Ergebnisse seien "nicht vor Ende des Jahres" zu erwarten, hieß es in EU-Kreisen. Auch deshalb ist der von der Türkei geforderte Oktober-Termin für ein Ende der Visapflicht unrealistisch.

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