Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise:Was die Menschen von den Grenzkontrollen am Öresund halten

"Unschwedisch" und "ziemlich entsetzlich": Wegen der Flüchtlinge lässt Schweden die Ausweise aller Reisenden aus Dänemark fotografieren. Tausende Pendler sind betroffen.

Reportage von Silke Bigalke, Kopenhagen

Minus zwei Grad und über den Bahnsteig am Kopenhagener Flughafen zieht ein eisiger Wind. Der Zug über die Brücke, rüber nach Malmö, rüber nach Schweden, ist gerade weg.

Anton Boman und seine Freundin sitzen schlecht gelaunt am Gleis. "Ziemlich schrecklich" finde er das alles, sagt der junge Schwede. Er wohnt und arbeitet in Malmö, sie in Kopenhagen. 32 Minuten Weg von einem Stadtzentrum zum anderen schienen bisher ein kleiner Preis dafür zu sein, sich so oft wie möglich zu sehen.

Doch nun müssen die beiden auf ihrem täglichen Weg eine künstliche Grenze passieren. Denn seit Montag sind Unternehmen, die Passagiere mit Bus, Bahn oder Fähre von Dänemark nach Schweden bringen, dazu verpflichtet, die Personalien ihrer Fahrgäste zu kontrollieren.

Ansturm am Nachmittag erwartet

Die dänische Bahngesellschaft DSB hat am Kopenhagener Flughafen deswegen eine Grenze aus schwarzem Absperrband errichtet, bewacht von einer Kette aus Sicherheitsleuten in neogelben Jacken. Wer an ihnen vorbei zu den Zuggleisen möchte, muss einen Lichtbildausweis vorzeigen und ihn abfotografieren lassen. Eine Hürde, die am Montagmorgen viele abschreckt: Das Gleis bleibt leer, das erwartete Chaos zunächst aus.

Die Regierung in Stockholm verfolgt mit der neuen Regel nur ein Ziel: Sie möchte Flüchtlinge davon abhalten, nach Schweden zu kommen. Mehr als 160 000 haben im vergangenen Jahr dort Asyl gesucht, in Dänemark waren es etwa 18 500.

Die dänische Regierung hat die schwedische Flüchtlingspolitik von Beginn an kritisiert. Am Montag reagiert sie auf die Kontrollen: Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen erklärt während einer Pressekonferenz, dass ab sofort auch die Pässe an der Grenze zwischen Deutschland und Dänemark wieder sporadisch kontrolliert würden. Die schwedischen Kontrollen zwängen Dänemark dazu.

Währenddessen erwartet Tony Bispeskov von der dänischen Bahngesellschaft den großen Ansturm am Nachmittag. Die meisten der rund 18.000 Menschen, die täglich über die Öresundbrücke pendeln, wohnen in Schweden und arbeiten in Dänemark.

Sie fahren also morgens von Malmö nach Kopenhagen - in diese Richtung wird bisher nicht kontrolliert. Doch wenn sie am Abend zurück nach Hause fahren, müssen sie am Flughafen umsteigen und durch die Kontrolle. "Dann erwarten wir mehr Druck", sagt Tony Bispeskov, der selbst seit viertel vor Sechs am Gleis steht und Interviews gibt. Etwa zehn Kamerateams stehen um das Absperrband und die Sicherheitsleute und leuchten die Szene mit ihren Scheinwerfern aus.

Seit Wochen betonen die Politiker in Stockholm, dass die Belastungsgrenze erreicht sei und Schweden nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen könne. Wer sich nicht ausweisen kann, den wollen sie nicht mehr rein lassen. Das sei legitim, erklärt die Regierung auf ihrer Internetseite, schließlich könnten die Menschen, die dann nicht mehr in Züge, Busse oder auf Fähren steigen dürfen, immer noch dort Asyl beantragen, wo sie gerade sind - also in Dänemark oder Deutschland.

"Unschwedisch" findet Anton Boman diese Einstellung, er versteht die plötzliche Kehrtwende in der bisher so liberalen schwedischen Flüchtlingspolitik nicht. Vor allem aber seien die Kontrollen für die Region um den Öresund ein Problem. Allein in dem Design-Studio, in dem Boman in Malmö arbeitet, pendeln drei Kollegen täglich, erzählt er.

Der Schwede rechnet mit zwei Stunden extra Zeit, die die Kontrollen ihm von nun an täglich kosten werden, wenn er jedes Mal umsteigen, anstehen und länger auf den Zug warten muss. Der Öresundståg, der Pendler-Zug über die Brücke, fährt durch die Kontrollen nur noch halb so oft, alle zwanzig statt alle zehn Minuten.

Auf der anderen Seite der Brücke, in Schweden, wird er dann wieder aufgehalten: Dort kontrolliert die schwedische Polizei im Zug noch einmal alle Ausweise - das sind die staatlichen Grenzkontrollen, die seit November gelten.

Reisende ohne Ausweis zurückgeschickt

Dass nun auch noch eine private Sicherheitsfirma Fotos von Ausweisen macht, ist vielen suspekt. Die Bahngesellschaft habe sich dazu entschieden, um die Kontrollen zu dokumentieren, sagt Sprecher Tony Bispeskov. Sie müsse den schwedischen Behörden womöglich beweisen, dass sie die Identität jedes Passagiers überprüft habe. Transportunternehmen, die nicht kontrollieren, müssen mit einer Strafe von 50 000 Kronen, etwa 5400 Euro, rechnen.

Das ist allerdings eine kleine Summe im Vergleich zu der Million dänischer Kronen (etwa 134000 Euro), die die Kontrollen die Bahngesellschaft nach eigenen Angaben täglich kosten. Die schwedische staatliche Bahngesellschaft hat beschlossen, die Fernzüge von Kopenhagen nach Stockholm über die Öresundbrücke gleich ganz auszusetzen, sie fahren nun erst ab Malmö. Das heißt, Passagiere für den Fernverkehr müssen ebenfalls alle am Flughafen umsteigen und bis Malmö die Regionalzüge nutzen.

Bis zu 34 Kontrollschleusen kann die Bahngesellschaft öffnen, 150 Sicherheitskräfte hat sie angestellt. Sie hat auch einen Zaun zwischen den Gleisen gezogen, damit niemand über die Schienen steigen und so die Kontrollen umgehen kann. Womöglich müsse sie eine Gebühr erheben, den Fahrpreis erhöhen, hat das Unternehmen vergangene Woche bereits gekündigt.

Die schwedische Regierung hat nur wenige Vorgaben dazu gemacht, wie die Kontrollen aussehen sollen. An der Schleuse unter dem Flughafen ist man dann auch unsicher, ob etwa ein deutscher Personalausweis ausreicht, um den Fahrgast zu identifizieren. Der internationale Führerschein sei sicherer, sagt der Mann in der neongelben Weste und macht mit dem Smartphone ein Foto davon. Obwohl bisher nicht viel los ist, habe er schon mehrere Fahrgäste ohne Ausweis zurückgeschickt.

Doch zurück wohin? "Unsere Aufgabe ist nur, die Menschen zu stoppen bevor sie in den Zug steigen", sagt Tony Bispeskov von der Bahn. Was danach mit ihnen passiere, sei Sache der Polizei.

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