Flüchtlingskrise:Merkel in Afrika - Geld gegen Grenzen

Kanzlerin Merkel in Afrika

Pressekonferenz mit Bettvorleger: In Addis Abeba gehen die Bundeskanzlerin und der äthiopische Premier (links) an einem ausgestopften Löwen vorbei.

(Foto: Michael Kappeler)
  • Äthiopien ist das dritte Land für Merkel in drei Tagen. Vorher war sie in Mali und in Niger.
  • Alle drei Staaten verbindet ihr großes Flüchtlingspotenzial.
  • Migrationspartnerschaften sollen große Flüchtlingsbewegungen verhindern.

Von Nico Fried, Addis Abeba

Was sagt man nun hier wieder? Äthiopien ist viel weiter als andere afrikanische Staaten. Das Schulsystem ist erfolgreich, die Wirtschaft 15 Jahre lang gewachsen. Trotzdem sind viele gut ausgebildete Jugendliche arbeitslos. Vor zwei Tagen hat die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, weil Demonstrationen eskalierten. Mehr als 500 Menschen sollen schon getötet worden sein. Kritiker werfen dem Premierminister vor, die Proteste brutal niederzuschlagen. Angela Merkel sagt in der Pressekonferenz mit Hailemariam Desalegn: "Ich habe dafür plädiert, dass man Gespräche mit den Menschen, die Probleme haben, offen führen sollte."

Kurzzeitig hat sie prüfen lassen, ob ein Besuch von der Regierung als Zeichen der Unterstützung für den harten Umgang mit Demonstranten missinterpretiert werden könnte. Am Ende hat sich Merkel für den Abstecher nach Addis Abeba entschieden, weil der eigentliche Zweck der Reise die Eröffnung eines Gebäudes der Afrikanischen Union (AU) ist, das Deutschland mit 30 Millionen Euro finanziert hat.

Mali, Niger und Äthiopien verbindet ihr großes Flüchtlingspotenzial

Äthiopien ist das dritte Land in drei Tagen. Vorher war Merkel in Mali und in Niger, einmal von West nach Ost über den "befreundeten Nachbarkontinent", wie die Kanzlerin gerne sagt. Ein Kontinent, in dem doch jedes Land völlig anders ist. In Mali stehen der Frieden auf der Kippe und 500 deutsche Soldaten in der Wüste. Niger ist wirtschaftlich das ärmste Land der Welt, aber reich an Migranten aus anderen Staaten, die durch die Wüste nach Norden ziehen. Äthiopien wiederum kommt wirtschaftlich besser voran als politisch.

Dass sie sich bisher nicht für Afrika interessiert habe, mag sich die Kanzlerin nicht vorwerfen lassen. Achtmal hat sie den Kontinent in elf Jahren Amtszeit bereist, den Besuch bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika mit eingerechnet. In China war sie neunmal. Immer wieder traf Merkel afrikanische Präsidenten und Regierungschefs auf internationalen Gipfeln. Aber richtig ist schon, dass das alles eher nebenher laufen musste - neben Finanz- und Wirtschaftskrise, neben Griechenland, Ukraine, Syrien und CSU.

Seit der Flüchtlingskrise hat sich jedoch nicht nur die Aufmerksamkeit der Politik für Afrika geändert, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit für die Politik und Afrika. Nachdem eine Million Menschen vor allem aus Syrien und dem Irak den Weg über die österreichisch-bayerische Grenze geschafft haben, schauen viele Deutsche bang auf den Nachbarkontinent und fragen sich: Wollen die jetzt auch noch alle kommen?

Das nämlich haben die drei Staaten, die Merkel besucht, gemeinsam: Noch sind es keine Länder, in denen viele Menschen aufbrechen, um sich nach Europa durchzuschlagen. Aber das Potenzial ist groß. Der Fokus dieser Reise lässt sich sehr einfach an einer Personalie beschreiben: Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller ist diesmal nicht dabei, dafür Jan Hecker, seit Herbst 2015 Leiter des Koordinierungsstabes im Kanzleramt, man könnte auch sagen: Merkels wichtigster Mann in der Flüchtlingspolitik.

Mali, zum Beispiel. Wenn der Frieden zwischen der Regierung im Süden und den Rebellen im Norden nicht hält, könnte das ganze Land betroffen sein - Fluchtwelle nicht ausgeschlossen. Militärisch leistet Deutschland bereits einen Beitrag in der UN-Friedensmission Minusma, die nach mehr als 100 im Kampf mit islamistischen Splittergruppen gefallenen Soldaten vor allem aus afrikanischen Staaten als gefährlichste Mission der Vereinten Nationen gilt. Jetzt hat sich die Bundesregierung mit Italienern und Franzosen zusammengetan, um auch die zivile und wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen. Migrationspartnerschaften nennt man das in Berlin.

Und was ist das genau? Die häufig gezogene Parallele zum Flüchtlingsabkommen mit der Türkei weist Merkel zurück. Nicht jedes Land müsse nun - wie die Türkei von der EU - drei Milliarden Euro bekommen, schließlich habe auch nicht jedes Land drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. "Migrationspartnerschaft bedeutet", so sagt es Merkel in der malischen Hauptstadt Bamako, "dass wir Verantwortung übernehmen für die spezifische Situation des jeweiligen Landes."

In Mali müssten die Menschen deshalb erkennen können, "dass Frieden nicht nur bedeutet, dass kein Krieg mehr ist, sondern sie auch Entwicklungschancen haben". Deshalb soll es mehr Entwicklungshilfe geben, für die Landwirtschaft, für Trinkwasserversorgung, aber auch für bessere staatliche Strukturen vor allem auf dem Land.

Niger, zum Beispiel. Mahohamad Traoré trägt zerschlissene Hosen und ein verwaschenes T-Shirt. Er sitzt in einem Hof in einem staubigen Viertel der Hauptstadt Niamey. Mahohamad ist 21 Jahre alt, er kommt aus Guinea. Als sein Vater starb, zog der jüngste von vier Söhnen los in Richtung Europa, um seiner Familie das Überleben zu sichern. Ein halbes Jahr lang war er unterwegs, auf Lastwagen, mit Schleppern. Er versuchte, durch Libyen nach Norden zu kommen, und blieb hängen. Er versuchte, nach Algerien zu kommen, um Arbeit zu finden, und schaffte es nicht über die Grenze. Dann landete er in Niger in einem der Auffanglager der Internationalen Organisation für Migration. In ein paar Tagen wird er mit einem von der IOM bezahlten Ticket zurück nach Guinea reisen.

Merkel bietet die Expertise deutscher Polizisten an - zur Deeskalation

Nach Europa wird es Mahohamad vorerst nicht schaffen, aber immerhin kennt er jetzt die deutsche Bundeskanzlerin, die das Auffanglager in Niamey besucht. Im für Europa besten Fall erzählt Mahohamad vielen seiner Landsleute von seinen Erfahrungen. Ob es hilft? Ein anderer der jungen Männer, mit denen Merkel in Niamey spricht, erzählt ihr, wie er nach seiner Umkehr andere Migranten auf dem Weg nach Norden traf. Sie blieben von seinen Berichten unbeeindruckt. Er sei eben nicht clever genug gewesen, hätten sie gesagt. Sie würden es schon schaffen.

Durch Niger führt die wichtigste Route für Migranten aus dem Westen und den zentralafrikanischen Staaten. 80 bis 90 Prozent ziehen hier entlang nach Norden, 150 000 laut Schätzungen allein im vergangenen Jahr. Das Schlepperwesen ist eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Einheimischen. Der Präsident will das ändern. Mehr Bildung, mehr Sicherheit. Die Europäische Union hat Hilfe zugesagt, Deutschland, Frankreich und Italien wollen zusätzlich helfen.

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Niger soll mehr Entwicklungshilfe bekommen, den Schleppern sollen alternative Erwerbsmöglichkeiten geboten werden. 17 Millionen Euro hat Merkel zuvor in einer Pressekonferenz für neue Jobs zugesagt, kleine Betriebe sollen gefördert werden. Weitere 60 Millionen, wenn das Programm gut läuft. Ohne diese Hilfe könne man von den Menschen nicht erwarten, dass sie die Schlepperei aufgeben, so die Kanzlerin.

Der Präsident Nigers fordert sogar einen Marshall-Plan. Aber das lehnt Merkel ab. Erst einmal soll das vorhandene Geld sinnvoll ausgegeben werden, dann sieht man weiter. In der deutschen G-20-Präsidentschaft 2017 soll es einen Extra-Gipfel mit Afrika geben, kündigt Merkel in ihrer Rede vor der AU in Addis Abeba an. Die Kanzlerin der kleinen Schritte verspricht nun auch eine Politik des langen Atems.

Von den Partnern erwarten die Europäer im Gegenzug auch repressive Maßnahmen gegen die Schleuser. Es sei gut, so Merkel, dass zum Beispiel Niger die Schlepperei mittlerweile zu einer Straftat erklärt habe. Migrationspartnerschaft, so hat es einer aus der Delegation der Kanzlerin formuliert, sei eben "eine intensive Form des Abarbeitens gegenseitiger Interessen". Man könnte es auch einen Tausch nennen: Geld gegen Grenzen.

Äthiopien, zum Beispiel. Gemessen an den Staaten in seiner Umgebung ist das Land das, was Merkel gerne einen Stabilitätsanker nennt. Schon jetzt leben hier etwa 780 000 Flüchtlinge aus fast allen Nachbarstaaten: Südsudan, Eritrea, Somalia. Wenn Äthiopien ins Wackeln gerät, sind die Folgen unabsehbar. Für Ostafrika, und für Europa. Deshalb macht Merkel dem Ministerpräsidenten noch ein Angebot: Die beiden Innenminister sollten sich mal darüber unterhalten, wie deutsche Polizeiexperten den Kollegen in Äthiopien Deeskalation beibringen könnten.

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