Flüchtlingskrise:Länder fühlen sich vom Bund alleingelassen

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kritisiert die Hilfszusagen der Bundesregierung als unzureichend und spricht damit auch für andere Bundesländer.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Bundesregierung muss sich auf einen heftigen Streit mit den Bundesländern einstellen. Nach den Beschlüssen der großen Koalition vom Wochenende zur Bewältigung der Flüchtlingskrise wächst in den Ländern die Kritik an einzelnen Entscheidungen. Vor allem die anvisierte Finanzhilfe von drei Milliarden Euro für die Länder reicht nach übereinstimmender Meinung aller Länder nicht aus, um der Herausforderung gerecht zu werden. Außerdem wächst der Unmut über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), dem die Schuld für Verzögerungen bei Asylentscheidungen gegeben wird.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) erklärte am Dienstag in Berlin, sie halte die Beschlüsse zur Finanzierung für völlig unzureichend. Die SPD-Politikerin sagte, die auch vom Bund viel beschworene "Verantwortungsgemeinschaft" könne sie nach diesem Wochenende nicht erkennen. Außerdem seien die Beschlüsse in der Annahme getroffen worden, dass dieses Jahr 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland kämen. Seit dem Wochenende aber sei diese Zahl überholt. "Die Prognose ist drei Wochen alt. Seither sind die Türen aufgemacht worden. Deshalb wird es nicht bei 800 000 bleiben", erklärte Kraft. Am Wochenende war den Ländern mitgeteilt worden, dass die Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn eine Ausnahme sei und bis zu 7000 Flüchtlinge ins Land bringe. Am Ende seien mehr als 20 000 gekommen, so Kraft.

Immer mehr Zorn lösen zudem die Verzögerungen bei den Asylentscheidungen aus. Seit einem Jahr habe das Innenministerium eine schnellere Bearbeitung der Verfahren versprochen. Trotzdem stapelten sich immer mehr Anträge, so Kraft. Es sei offensichtlich, dass das Bundesamt seine Aufgabe "nicht schultern kann". Auch wenn sie manchen Vorschlag des Bundes begrüße, sei klar, dass "es bei diesen Beschlüssen nicht bleiben kann".

Kraft steht nach Informationen der SZ mit ihrer Kritik nicht alleine. Zahlreiche Länder beklagen eine hohe Belastung. In internen Gesprächen fällt die Kritik an den Beschlüssen der Berliner Koalition noch viel drastischer aus. Doch weil die Länderchefs die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung nicht durch einen Politikerstreit gefährden möchten, halten sie sich öffentlich zurück. Die Stimmung in den Ländern ist auch ein Beleg für den Unmut, den die Spitzen von Union und SPD bei ihren Mitgliedern in den Ländern ausgelöst haben. Seit dem ersten Flüchtlingsgipfel 2014 hatten Kraft und andere Regierungschefs immer wieder auf die Not und die Missstände hingewiesen. Deshalb ist jetzt ihr Ärger groß - zumal der Bund aus ihrer Sicht auch Vereinbarungen wie die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge nicht einhält. Immer lauter werden deshalb die Rufe, den für 24. September geplanten Bund-Länder-Gipfel vorzuziehen. Finanzminister Wolfgang Schäuble bezeichnete die Bewältigung der Flüchtlingskrise am Dienstag als wichtigste Aufgabe. Gleichzeitig vermied er es in der Haushaltsdebatte, weitere Hilfen für die Länder auch nur anzudeuten.

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