Flüchtlingskrise:Kanzlerin "entsetzt" über russische Angriffe

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Merkel verurteilt die Bombardierung syrischer Zivilisten. Der türkische Premier befürchtet eine humanitäre Katastrophe.

Von Mike Szymanski, Ankara

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Russland für die jüngste Massenflucht im Bürgerkriegsland Syrien verantwortlich gemacht. Nach einem Treffen mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoğlu am Montag in Ankara sagte Merkel: "Wir sind entsetzt über das, was den Menschen an Leid durch Bombenangriffe vorrangig von russischer Seite entstanden ist." Im türkisch-syrischen Grenzgebiet, wo derzeit Zehntausende auf der Flucht seien, zeige sich das "wirklich große Elend".

Vor einigen Tagen haben syrische Regierungstruppen die Entscheidungsschlacht um Aleppo begonnen. Dabei werden die Kämpfer aus der Luft von russischen Kampfflugzeugen unterstützt. Nach Angaben der türkischen Regierung könnten die Gefechte dazu führen, dass sich eine Million Menschen auf den Weg in die Türkei machen. Premier Davutoğlu sagte, man könne "fast von einer humanitären Katastrophe sprechen". Etwa 30 000 Flüchtlinge würden jenseits der Grenze campieren.

Allerdings weigert sich sein Land weiterhin, die Flüchtlinge ins Land zu lassen. "Wir tun alles für die humanitäre Hilfe. Aber niemand sollte denken: Natürlich nimmt die Türkei alle Flüchtlinge auf. Das ist nicht nur ein Problem der Türkei, sondern der ganzen Welt." Merkel sicherte der türkischen Regierung Hilfe durch das Technische Hilfswerk zu. "Deutschland steht zur Seite, wenn es um die Versorgung der Flüchtlinge geht." Bislang betreut die Türkei die Hilfesuchenden jenseits der Grenze auf syrischem Boden. Lenkt die Türkei nicht ein, würde dies das Ende der Politik der offenen Grenze bedeuten. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs hat die Türkei zweieinhalb Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen und die Kosten dafür weitgehend alleine getragen. Die Menschen jenseits der Grenze seien in verzweifelter Lage, teilte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mit. Bei winterlichen Temperaturen harren viele Gestrandete im Freien aus. Merkel und Davutoğlu wollen bei den Vereinten Nationen intervenieren. Die UN müsse auf eine Einhaltung der Resolution des Sicherheitsrates dringen, nach der Angriffe auf die Zivilbevölkerung unterbleiben müssen.

Auch im Kampf gegen die Schleuser sagte Merkel Ankara Hilfe zu. Deutschland und die Türkei wollen die Nato in den Kampf gegen Schlepper in der Ägäis einbinden. Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in dieser Woche müsse erörtert werden, "inwieweit die Nato bei der Überwachung der Situation auf See hilfreich sein und die Arbeit von Frontex und der türkischen Küstenwache unterstützen kann", sagte Merkel. Die deutsche Polizei soll die Türkei dabei unterstützen, Schleuserringe aufzudecken.

Ein weiteres finanzielles Engagement der Europäischen Union für die Flüchtlingshilfe in der Türkei schloss Merkel nicht aus. Bisher hat die EU dem Land drei Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um die Lage der Flüchtlinge zu verbessern. Ankara hatte immer wieder zu erkennen gegeben, dass die Summe nicht reichen werde. Merkel sagte, jetzt müsste das Geld rasch ausgegeben werden, um die Not zu lindern. "Wenn's alle ist, können wir neu sprechen", sagte Merkel.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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