Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise:Dänemark stoppt Zugverkehr mit Deutschland

Wegen der Flüchtlinge, die nach Norden wollen, ist die Strecke gesperrt. Juncker fordert von den EU-Staaten, dass sie mehr Verantwortung übernehmen. Merkel: Deutschland will vorangehen.

Von Daniel Brössler, Cerstin Gammelin, Straßburg/Berlin

Die Flüchtlingskrise hat Dänemark zu einem Stopp des Zugverkehrs mit Deutschland veranlasst. Angesichts Hunderter ankommender Flüchtlinge stellte die dänische Bahn die Verbindungen ins Nachbarland auf unbestimmte Zeit ein. Auch auf den Fähren, die zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf der Insel Lolland verkehren, sollten vorübergehend keine Züge transportiert werden. Die Entscheidung wurde am Mittwoch nur Stunden nach einem leidenschaftlichen Appell von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für mehr Verantwortungsbewusstsein der EU-Staaten gegenüber den Migranten bekannt. Die EU sei "in keinem guten Zustand", beklagte Juncker in seiner Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. "Es fehlt an Europa in dieser Union. Und es fehlt an Union in dieser Union", klagte er.

Juncker appellierte an die EU-Staaten, ihrer Verantwortung in der Flüchtlingskrise gerecht zu werden. "Es ist höchste Zeit zu handeln, um die Flüchtlingskrise zu managen. Es gibt dazu keine Alternative", mahnte Juncker. "Dies ist vor allem eine Frage der Menschlichkeit und der Menschenwürde. Für Europa ist es zudem eine Frage der historischen Gerechtigkeit." Im Laufe der europäischen Geschichte sei fast jeder einmal Flüchtling gewesen, sagte Juncker. Im Vergleich zu Staaten wie Libanon müssten die EU-Länder überdies immer noch mit sehr kleinen Flüchtlingszahlen zurechtkommen.

Juncker legte einen Plan der EU-Kommission vor, der die Verteilung von zusätzlich 120 000 Flüchtlingen aus Italien, Griechenland und Ungarn auf die anderen EU-Staaten vorsieht, darunter 31 443 nach Deutschland. Ein bisher nicht umgesetzter Plan vom Mai verlangt überdies die Verteilung von 40 000 Flüchtlingen. Die Verteilung soll über eine verbindliche Quote erfolgen, die allerdings bisher auf massiven Widerstand vor allem der östlichen Mitgliedsländer stößt. Sie berücksichtigt Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft, bisherige Asylanträge und Arbeitslosigkeit. Der Mechanismus soll auch künftig in Krisen angewandt werden. Juncker schlug unter anderem auch eine EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten vor, darunter die Türkei.

Dänemark ist von der Zusammenarbeit in der Asylpolitik befreit. Es wäre daher auch von der Quote nicht betroffen. Die zuletzt etwa 300 nach Dänemark eingereisten Flüchtlinge durften am späten Abend offenbar weiter nach Schweden. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte im Bundestag Junckers Vorschlag für Quoten. "Insgesamt brauchen wir eine verbindliche Einigung über eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen nach fairen Kriterien zwischen allen Mitgliedstaaten", sagte sie. Deutschland wolle bei der Aufnahme der Flüchtlinge vorangehen, um Europa von dem neuen Quotensystem zu überzeugen. Es komme "ganz besonders" auf Deutschlands "Stärke" an. Arbeitsmarkt und Wirtschaft seien in gutem Zustand, weshalb es Deutschland sein könnte, das "schließlich den Weg für eine europäische Lösung frei macht".

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SZ vom 10.09.2015
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