Flüchtlingskrise:Wie Merkel sich in Brüssel durchsetzen will

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Merkel muss sich auf dem EU-Gipfel durchsetzen. Sonst ist ihre Kanzlerschaft in Gefahr. (Foto: imago/Eibner)
  • Bundeskanzlerin Merkel sagte, sie habe den EU-Sondergipfel wegen der "Obergrenzen-Entscheidung Österreichs" durchgesetzt.
  • Am 7. März dürfte sich kurz vor drei Landtagswahlen zeigen, auf wie viel oder wenig europäische Gemeinsamkeit sie in der Flüchtlingskrise setzen kann.
  • Die EU ist hinsichtlich des weiteren Vorgehens in drei Lager geteilt - für Merkel bedeutet das eine Zwickmühle.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte während ihres Fernsehauftritts in der ARD offenkundig nicht die Absicht, Neuigkeiten zu verkünden. Dies hätte ihrer Kernbotschaft widersprochen, wonach sie überzeugt sei, dass "der Weg, den ich eingeschlagen habe, der richtige ist". In einem nicht unwesentlichen Punkt aber vollzog sie doch einen Schwenk. Und zwar in der Frage, was vom EU-Sondergipfel am 7. März zu erwarten ist. Merkel sagte, sie habe den Gipfel wegen der "Obergrenzen-Entscheidung Österreichs" durchgesetzt. Unter allen Begründungen für den Sondergipfel ist diese noch nicht genannt worden.

Das Brüsseler Treffen genießt den Rang eines Schicksalsgipfels

Damit hat die Kanzlerin mit dem Erwartungsmanagement für einen Gipfel begonnen, der kurz vor drei Landtagswahlen zeigen dürfte, auf wie viel oder wenig europäische Gemeinsamkeit sie in der Flüchtlingskrise setzen kann. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte die Bedeutung des Gipfels noch vor wenigen Tagen maximal aufgeladen, indem er verkündete, bis zu dem Termin solle an der türkisch-griechischen Grenze die Zahl der Flüchtlinge "drastisch und nachhaltig" verringert werden, sonst müssten "andere europäisch koordinierte Maßnahmen" ergriffen werden.

Das Brüsseler Treffen wurde so in den Rang eines Schicksalsgipfels erhoben. Merkel hat es nun vorsorglich wieder zurück auf den Boden der Krise geholt. Sie habe die Folgen der österreichischen Entscheidung, nur noch 80 Flüchtlinge täglich aufzunehmen, vorausgesehen und habe deshalb nicht bis zum regulären Gipfel am 18. März warten wollen, sagte Merkel. Ein Sondertreffen also, um Griechenland zu helfen und die Lage entlang der mittlerweile weitgehend blockierten Balkanroute zu besprechen. Und ein Signal vor den Landtagswahlen? "Nein, eben gerade nicht."

Das Chaos als Botschaft an alle, die noch kommen wollen

Das ist eine Darstellung, die in Brüssel zumindest überrascht. Während des Februar-Gipfels herrschte im Kreis der Staats- und Regierungschefs sehr wohl der Eindruck, Merkel brauche und wolle den Gipfel auch aus innenpolitischen Gründen. Wegen des Terroranschlags in Ankara war der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu nicht zum angesetzten Treffen der Willigen angereist. Auf Betreiben Merkels sollte die Begegnung möglichst bald in größerem Rahmen nachgeholt werden. Das werde ein "sehr starkes Signal", kündigte Merkel an. In zwei Pressekonferenzen während des Gipfels brachte sie das Sondertreffen im März nicht ein einziges Mal in Zusammenhang mit der österreichischen Entscheidung für eine Obergrenze.

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Es gab noch einen bezeichnenden Widerspruch in Merkels Aussagen. Einerseits stellte sie mit Blick auf den jüngsten Gipfel Einigkeit in den Grundfragen fest: "Priorität für die EU-Türkei-Agenda, Außengrenzenschutz, illegale Migration bekämpfen und europäische Lösung dahingehend, dass wir das Schengen-System wieder umsetzen wollen." Noch "Unklarheiten" gebe es lediglich in der Frage, wer wie viele Flüchtlinge aufnehme. An anderer Stelle wiederum räumt Merkel ein, dass sie nur die Niederlande und die Kommission verlässlich an ihrer Seite hat. Und das ist näher an der Wahrheit. Sie steht fast allein.

Die EU ist hinsichtlich des weiteren Vorgehens in drei Lager geteilt. Auf der einen Seite Länder wie Österreich samt Balkan-Alliierten, die nun die Grenzen bis hinunter nach Mazedonien dichtmachen, um Griechenland gezielt in eine untragbare Situation zu bringen. Es geht dabei gar nicht darum, das Land unter Druck zu setzen. Athen kann in den Augen dieser Staaten im Moment nichts mehr richtig oder falsch machen. Griechenland ist nur ein Vehikel. Das Chaos wird benutzt, um eine abschreckende Botschaft an alle zu senden, die noch kommen wollen. Merkel hält das für zynisch, man könne die Griechen doch nicht "einfach sitzen lassen". Merkel könne die Menschen, die jetzt in Griechenland strandeten, ja "direkt nach Deutschland" holen, ätzte am Montag Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil.

Bis die Türkei-Kooperation fruchtet, will Merkel die Grenzen offen lassen

Dagegen stellt Merkel ihren Plan von der Zusammenarbeit mit der Türkei, "den Weg, den ich für das Vernünftigste halte". Also: Seegrenze abdichten, auch mit Hilfe der Nato, Schleppern "das Handwerk legen", die Türkei bei der Unterbringung der Flüchtlinge unterstützen und sie um größere Kontingente entlasten, im Gegenzug für das Versprechen Ankaras, Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Bis diese Kooperation Früchte trägt - das wird wohl erst nach dem 7. März der Fall sein -, möchte Merkel die Grenzen offen lassen.

Die dritte Gruppe, so stellte es die Kanzlerin dar, besteht aus den Ungläubigen. Es sind jene, die ihren Plan "im Grunde" richtig fänden, aber zögerten, nach dem Motto: "Ach wer weiß, ob das was wird." Ihnen schleuderte sie entgegen: "Wenn ich so an etwas herangehe, dann, glaube ich, wird das auch nichts." Zu dieser Gruppe zählen alle übrigen, nicht zuletzt der früher mal bedeutende Partner Frankreich.

Über ein Druckmittel verfügt Merkel nicht

Merkels heroische, vielleicht auch vergebliche Hoffnung besteht darin, die Zweifler überzeugen zu können. Kommen erste Erfolgssignale aus der Ägäis, ergäbe sich die Sache mit der Solidarität schon irgendwie: "Wenn dieser Grenzschutz besser funktioniert", sagte sie, "dann werden auch viele noch mal nachdenken und sagen, ist es nicht im Sinne einer Lastenteilung mit der Türkei, dann auch richtig Flüchtlinge aufzunehmen."

Über ein Druckmittel, das räumte Merkel ein, verfügt sie nicht. Sie baut auf Einsicht. Es sei widersinnig, Griechenland finanziell zu retten und jetzt ins Chaos zu stürzen. Außerdem wollten doch alle das "Asset" der Bewegungsfreiheit erhalten. Damit steckt sie in einer unbequemen Lage: als Gefangene einer Entwicklung, die sie nur beschränkt beeinflussen kann.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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