Flüchtlingskinder:Seehofer bremst die Erwartungen

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Warten auf Aufnahme: Flüchtlingskinder auf Lesbos. (Foto: Costas Baltas/Reuters)

Deutschland soll geflüchteten Kindern helfen - aber nur in Zusammenarbeit mit EU-Partnern, so der Innenminister.

Von Constanze von Bullion und Mike Szymanski, Berlin

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will Flüchtlingskinder aus den desolaten Camps auf griechischen Inseln holen, dafür aber zunächst europäische Partner gewinnen. Am Mittwoch war sein Haus hörbar bemüht, die Erwartungen zu dämpfen, was das Tempo des Vorhabens angeht. Seehofer sei grundsätzlich bereit, Schutzsuchende aus Griechenland aufzunehmen, teilte sein Sprecher mit. Allerdings sei die "Aufnahmebereitschaft nicht voraussetzungslos gegeben". Es werde "keine nationalen Alleingänge" geben. Zudem müsse "trotz der zeitlichen Dringlichkeit zunächst Ordnung an der Außengrenze gewährleistet sein".

In der Unionsfraktion zeigten einige sich überrumpelt von Seehofers Vorstoß. Der Minister hatte ihn am Dienstagabend nach einer Fraktionssitzung im Bundestag vor Journalisten präsentiert. Betroffen sei eine Zahl von 5000 Kindern in griechischen Lagern. "So präzise, wie er vor der Presse auftrat, hatte er das in der Fraktion nicht dargestellt", sagte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. Die Unionsfraktion sei sich einig, dass sie nur eine europäische Lösung unterstütze, es dürfe "keine Initiative sein, die wir alleine fahren". Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), betonte zudem, es müsse "klar sein, dass eine solche Aktion nur einmalig zur Entlastung der Hotspots auf den Inseln erfolgen kann".

Die Grünen drücken mit einem Antrag aufs Tempo

Aus der SPD kam Zustimmung für Seehofers Initiative. "Ich bin sehr froh, dass sich die Bundesregierung so stark positioniert hat", sagte Fraktionschef Rolf Mützenich. Seiner Meinung nach müsse Seehofer aber bereits vom Treffen der EU-Innenminister am Mittwochabend in Brüssel mit einer Erklärung heimkehren. Auch der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci, der kürzlich in einem Camp auf Lesbos war, sieht dringenden Handlungsbedarf. "Unbegleitete Kinder bekommen nicht einmal Matratzen und Zelte zugewiesen", sagte er. Sie müssten Unterschlupf bei anderen Geflüchteten suchen und seien Übergriffen ausgesetzt. Spezielle Betreuung gebe es auf Lesbos nur für 68 der mehr als 1000 unbegleiteten Kinder. "Wir müssen die Notfälle dort rausholen", sagte Castellucci. Sollte Seehofer beim Innenministertreffen kein Ergebnis erzielen, dürfte die SPD beim Koalitionsausschuss am Sonntag den Druck auf die Union erhöhen, Flüchtlinge im Alleingang aufzunehmen. Dem Antrag der Grünen allerdings wollte die SPD sich am Mittwoch nicht anschließen.

Diese wollen nun aufs Tempo drücken. "Seehofer vertagt die Sache nur wieder", sagte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Luise Amtsberg. Die Lage Asylsuchender auf griechischen Inseln habe sich "dramatisch verschlechtert", heißt es in einem Antrag der Fraktion, über den am Mittwochabend der Bundestag abstimmen wollte. Die Hotspots auf griechischen Inseln seien im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens eingerichtet worden, als "vorübergehende und außerordentliche Maßnahme". Vier Jahre später seien die Zustände katastrophal. Insbesondere Kinder, aber auch Schwangere, alleinstehende Frauen, Ältere oder Kranke litten unter "unhaltbaren Bedingungen". Frauen und Mädchen seien in den Camps sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Die Grünen fordern nun ein Programm, bei dem 5000 besonders Schutzbedürftige nach Deutschland geholt werden, für ihr Asylverfahren: Kinder, Schwangere, alleinreisende Frauen, Alleinerziehende und schwer Traumatisierte. Unbegleitete Kinder und andere Menschen müssten "zügig und unbürokratisch" zu Verwandten in Deutschland gebracht werden. Dabei sei die Zustimmung anderer EU-Staaten nicht unbedingt erforderlich. Nach Artikel 17 der Dublin-Verordnung könne jeder EU-Staat vom sogenannten Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen. Auf dieser Rechtsgrundlage könne Deutschland agieren. Einen Zeitplan nennt der Antrag nicht.

"5000 Menschen kann man sicherlich nicht in vier Wochen in Deutschland aufnehmen", sagte die Grünen-Politikerin Amtsberg. Aber es reiche auch nicht, nur zu betonen, dass Deutschland keinen nationalen Alleingang machen wolle. "Seit fünf Jahren wird jetzt auf das europäische Konzert verwiesen, aber es kommt nicht zustande", so Amtsberg. "Wir wollen, dass Deutschland im Rahmen von Dublin selbst eintritt und vorangeht." Sollten andere Staaten sich anschließen, sei das erfreulich. "Eine Bedingung ist es für uns nicht."

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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