Flüchtlingspolitik:CSU ringt um Seehofers Erbe

Horst Seehofer

Horst Seehofer senkt seinen Blick

(Foto: Matthias Balk / dpa)

Die Partei trägt ihren internen Machtkampf über die Flüchtlingspolitik aus. Das macht die Sache noch schwieriger, als sie ohnehin schon ist.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Flüchtlingskrise ist eine Herausforderung von einer Dimension, wie sie Deutschland jedenfalls seit der Wiedervereinigung nicht mehr zu bestehen hatte. Vielleicht ist die Herausforderung noch größer, weil sie noch mehr Ungewissheiten in sich birgt; es gibt in dieser Krise kein "Wieder", es gibt kein Vorbild dafür, wie man es machen könnte; und es gibt, anders als damals, nicht nur einen Streit über den richtigen Weg, sondern einen über das richtige Ziel. Es gibt aber immerhin eine Kanzlerin, die bisher in der Flüchtlingskrise fast so fest steht wie Helmut Kohl im Jahr 1989.

Aufnahme oder Abwehr? Wie viel Aufnahme? Wie viel Abwehr? Darf es so etwas wie abschreckende Aufnahme, abschreckende erste Hilfe geben? Darf, kann, soll es eine Obergrenze für das Asyl und die Aufnahme von Flüchtlingen geben? Oder verbietet sich eine Obergrenze schon deswegen, weil sie erst recht einen Ansturm von Flüchtlingen auslösen würde, die alle noch da sein wollen, bevor die Obergrenze erreicht ist?

Es geht um Grundsatzfragen - und um Praktisches

Die große Koalition ist darüber so uneins wie die deutsche Bevölkerung: Die einen plädieren für großzügige Aufnahme, die anderen für rigorose Abwehr; und viele schwanken zwischen Aufnahme und Abwehr, weil der Wille zu helfen mit der Angst davor wechselt, dass "es" zu viel ist und dass "es" zu viele werden.

Es geht um Grundsatzfragen der Innen- und Außenpolitik, um Grundsatzfragen der Humanität und Solidarität, um Grundsatzfragen der Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit - und um ganz elementare praktische Fragen: Wie man denn, angesichts der exorbitanten Zahl von Flüchtlingen und der exorbitanten Not rasch feststellen kann, wer wirklich hilfsbedürftig ist, wie und wo man diese Prüfung bewerkstelligt und wie in dieser Feststellungszeit mit den Flüchtlingen umzugehen ist.

Es war der Allerheiligentag, an dem sich die Koalitionäre getroffen haben; selbst wenn die Teilnehmer alle Heilige gewesen wären und die CSU nicht ein Spaltpilz wäre, hätten sie die große Klärung nicht geschafft. Es geht um Komplexitätsreduktion, also zunächst um die praktischen Dinge und die Art und Weise, wie man darüber redet: Wie und wo bewältigt man die Asylprüfungen? Das ist die Frage, um die es geht beim Streit um grenznahen "Transitzonen" (die will die CSU) und über das ganze Land verteilten "Einreisezentren" (die will die SPD).

Die CSU versucht ihren Ruf als Partei von Recht und Ordnung zu verteidigen

Die CSU redet am radikalsten, propagiert die schärfsten Abwehrsignale; die CSU redet sich hier an die AfD heran. Aber zugleich ist die Praxis der Flüchtlingserstaufnahme in Bayern ziemlich gut und meist wohlorganisiert; diese Praxis ist, trotz des Drucks an der bayerisch-österreichischen Grenze, so gut, dass andere Bundesländer sich dies als Vorbild dienen lassen könnten.

In anderen Bundesländern wie etwa Berlin redet man wohltönend über Flüchtlingspolitik, deren Organisation aber ist desaströs; man möchte sich die Zustände nicht vorstellen, die herrschten, wenn die Grenze zu Österreich in Berlin-Brandenburg läge und die Übergänge, die jeden Tag von Tausenden Flüchtlingen passiert werden auf der Suche nach Schutz und Hilfe in Deutschland, nicht Passau und Freilassing hießen, sondern Steglitz und Marzahn.

Die CSU versucht in der Asylpolitik ihren Ruf als Partei von Recht und Ordnung zu verteidigen; sie ringt gegen die Kanzlerin um ihr Selbstverständnis. Horst Seehofer hat so scharf gegen die Kanzlerin geschossen, dass politische Kriegsberichterstatter schon das Echo von Kreuth zu hören glaubten. In ihrer Klausur von Kreuth hatte die Strauß-CSU 1976 beschlossen, sich von der CDU zu trennen und bundesweit anzutreten. Die Rahmendaten dafür waren damals günstig: Die Union war in der Opposition, Oppositionschef Kohl galt nicht nur bei Strauß als schwach; und trotzdem wagte die CSU das Wagnis nicht und zerriss ihren Beschluss drei Wochen später wieder.

Seehofer kämpft auch um die Macht in der CSU

Trennungsspielchen heute, in der Regierungsverantwortung und zu Zeiten einer immer noch starken Kanzlerin, wären fast selbstmörderisch für die CSU. Das weiß Seehofer; aber er hat, und das erklärt einiges, einen CSU-Parteitag vor sich, auf dem er mit einem einigermaßen guten Ergebnis wiedergewählt werden will; und er hat in Markus Söder einen Konkurrenten neben sich, der ihn lieber heute als morgen stürzen würde. Der christsozialbayerische Machtkampf wird via Flüchtlingspolitik ausgetragen. Das macht die Sache noch schwieriger, als sie ohnehin ist.

Der Advent steht vor der Tür. Advent heißt Ankunft. Das Wort hat in diesem Jahr eine besondere Bedeutung. Und die Herbergssuche, die in der Vorweihnachtszeit gern gespielt wird, findet heuer real statt. Eine christliche Partei wird da schlecht abseits stehen können.

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