Italien:Melonis Minister entlastet sich selbst

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Die meisten der Menschen, die bei dem Schiffsunglück vor der süditalienischen Küste starben, waren vor den Taliban in Afghanistan geflohen. (Foto: Luigi Navarra/AP)

Im Streit um die Verantwortung für das Flüchtlingsdrama vor Kalabrien behauptet die italienische Regierung, die EU schwenke auf ihren Kurs ein. In Brüssel sieht man das anders.

Von Josef Kelnberger und Oliver Meiler, Rom/Brüssel

Das Flüchtlingsdrama vor dem kalabrischen Steccato di Cutro vom 26. Februar wandelt sich in Italien immer mehr zum politischen und juristischen Symbolfall für den Umgang mit Migranten. Mindestens 72 Flüchtlinge kamen um, als der Fischkutter, mit dem sie im türkischen Izmir abgelegt hatten, kurz vor dem Ziel an einem Felsen zerschellte. 28 waren minderjährig, das bislang letzte geborgene Opfer war drei. Dutzende Menschen werden noch vermisst, 80 konnten lebend aus der rauen See gerettet werden. Die meisten von ihnen sind Afghanen, auf der Flucht vor den Taliban.

In Kalabrien laufen nun zwei juristische Ermittlungen, in denen die Katastrophe Stunde für Stunde nachgezeichnet werden soll. Es geht dabei um die Frage, ob Italien die Menschen nicht hätte retten können. Matteo Piantedosi, Italiens kritisierter Innenminister, hat im Parlament schon einmal seine Version dargelegt - und sich dabei auf ganzer Linie selbst entlastet. Rom, sagte er, sei von Frontex, der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, nicht alarmiert worden. Darum habe man in jener Nacht keine Rettungsaktion mit der Küstenwache vorgesehen, sondern die Finanzpolizei für eine Kontrolle losgeschickt. Am Ende aber hätten die Schlepper mit einer "waghalsigen Kehrtwende" den Unfall verursacht.

Die Zeit für eine Rettungsaktion war da

Offen und zentral bleibt die Frage, warum Rom die Küstenwache selbst dann nicht aussandte, als die Boote der Guardia di Finanza wegen allzu hohen Wellengangs ihre Operation abgebrochen hatten. War da die Lebensgefahr für die Flüchtlinge nicht allen klar? Vier Stunden lagen zwischen dem Moment, da die Finanzpolizei zurückgekehrt war, und der Katastrophe. Zeit wäre also genug gewesen. Da die Küstenwache Transportminister Matteo Salvini untersteht, steht auch der Chef der rechtspopulistischen Lega in der Kritik. Doch Salvini und weitere wichtige Persönlichkeiten der Rechtsregierung ließen den Innenminister im Parlament allein: Die meisten Sitze, die für die Minister reserviert waren, blieben leer.

Premierministerin Giorgia Meloni hat unterdessen die Migrationsfrage still zur Chefsache erklärt. Sie schrieb der Vorsitzenden der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, einen Brief, in dem sie um einen europäischen Ansatz in der Materie bat. Und bekam darauf schnell eine Antwort. In der Diktion der italienischen Regierung heißt es jetzt, Brüssel habe endlich und dank der Hartnäckigkeit Melonis reagiert: Von der Leyen stelle eine halbe Milliarde Euro für die Einrichtung von "humanitären Korridoren" in Afrika in Aussicht, sodass flüchtende Menschen nicht mehr den gefährlichen Weg über das Mittelmeer antreten müssen. Aber ist das wirklich neu?

Die EU-Kommission handelt längst

Tatsächlich handele es sich, darauf legt man in der Kommission Wert, um ein Programm, das die EU bereits im vergangenen Jahr beschlossen hat. Aus dem langfristigen EU-Haushalt stehen demnach seit dem 1. Januar dieses Jahres, und befristet bis zum Jahr 2025, allen 27 Mitgliedsländern insgesamt 480 Millionen Euro zur Verfügung, um Flüchtlinge aus Nordafrika auf sicherem Weg nach Europa zu bringen. Das Geld reicht nach Schätzungen der Kommission, um etwa 50 000 Menschen umzusiedeln.

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Die "humanitären Korridore", die Ursula von der Leyen erwähnt, seien also kein Programm, um Italien zu entlasten, auch keine Reaktion auf die Katastrophe vom 26. Februar oder auf den Brief von Giorgia Meloni. Vielmehr wolle die Kommissionspräsidentin verdeutlichen, dass die Kommission schon längst handelt. Es liege an den Mitgliedstaaten, das Geld abzurufen.

Ursula von Leyen verweist in ihrem Brief an Giorgia Meloni auch auf die Notwendigkeit, die staatliche und die private Seenotrettung im Mittelmeer besser zu koordinieren. Die Kommission habe deshalb eine internationale Kontaktgruppe wiederbelebt. Dort wird man mit Interesse verfolgen, wie die italienische Regierung die Verantwortlichkeit für das Unglück vor Steccato di Cutro klärt.

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