Flüchtlingsdebatte:Willkommen im Land der Bosheit

Abgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Remchingen

Eine abgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Remchingen.

(Foto: dpa)

Was die schlichte Freundlichkeit des Erlanger Busfahrers über Deutschland offenbart.

Ein Kommentar von Sebastian Gierke

"Kanaken". Das Wort schwebt über dem mit Bäumen bewachsenen Hof. Unheilvoll legt es sich über die Szene. Dutzende Menschen bevölkern an diesem lauen Münchner Sommerabend die vielleicht hundert Balkone, die den Hof umschließen. "Ruhe, Kanaken."

Auf den Balkonen regt sich nichts. Ein paar Lichter gehen aus, ein, zwei Türen werden geschlossen. Unten im Hof, wo drei oder vier Italiener gerade miteinander geplaudert hatten, seit wenigen Minuten erst, keinesfalls laut, es ist gerade mal 22 Uhr, jetzt tatsächlich: Ruhe. Das Wort, bösartig irgendwo rechts im Schutz der Dunkelheit herausgekotzt, bleibt unwidersprochen.

Die Debatte um Flüchtlinge vergiftet das Klima in Deutschland. Immer lauter wird das Fremde, und seien es Menschen aus dem nahen Italien, als Bedrohung wahrgenommen. Und je fester die Kanaken-Rufer an die vermeintliche Apokalypse glauben, die sie mit vernichtend-paranoiden Begriffen wie Überfremdung oder Asylmissbrauch umschreiben, desto wahrscheinlicher machen sie sie: die Apokalypse des Hasses. Weil man sich entsprechend verhält:

Weil Fremdenhass scheinbar zu einer diskutierbaren Meinung wird, weil Menschen, die nicht akzentfrei Deutsch sprechen von Menschen, die oft noch viel schlechter Deutsch sprechen, wieder als Kanaken bezeichnet werden. Einfach so. In gutbürgerlichen Münchner Hinterhöfen, auf Volksfesten oder an Badeweihern. In Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte und Höfe von Nazigegnern.

Nur in dieser Atmosphäre kann es passieren, dass ein schlicht freundlicher Busfahrer zur Sensation wird. Dass eine Selbstverständlichkeit von einem, der auch schon mal die AfD gut findet, für überwältigendes Aufsehen sorgt. Doch was sagt das über uns aus? Über das Klima in diesem Deutschland, in dem das Wort Kanake Konjunktur hat und in dem das "Welcome to Germany" eines aufmerksamen Bürgers als ungeheuerliche Ausnahme gefeiert wird. Eine Ausnahme, bei der sogar einem der berühmtesten Nachrichtenmoderatoren des Landes die Stimme vor Rührung versagt.

Die Wahrheit ist: Ein paar nette Worte gegenüber Flüchtlingen wirken nur in einer Welt voller Kleinlichkeit, Bosheit und Gemeinheit wie eine Erlösung. Vor diesem Hintergrund wird die fortschreitende innere Versteppung vieler Deutscher deutlich sichtbar.

Ich deutsch, du nix

Was der Busfahrer getan hat, soll damit keinesfalls abgewertet werden. Gerade jetzt ist es wichtig, etwas zu versuchen. Natürlich kann der einzelne die Ursachen des Flüchtlingsdebatte nicht beseitigen. Noch viel zu oft werden Menschen danach beurteilt, was sie erreichen, nicht danach, was sie - auch im Kleinen - versuchen.

Zum Beispiel "Kanake"-Blökern widersprechen. Zum Beispiel Flüchtlinge willkommen heißen. Widerstände erhöhen, Simplizitäten verunmöglichen, Ansprüche stellen, an sich und andere. Wer sich gegen jeden Zweifel immunisiert, sich hinter seinen zu simplen Wahrheiten versteckt, der hat es einfacher, die Debatte zu beherrschen. Trotzdem muss immer klar sein, wie falsch er liegt.

"Das Wort wird souverain und springt aus dem Satz hinaus, der Satz greift über und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen - und das Ganze ist kein Ganzes mehr." Friedriche Nietzsche hat das geschrieben, um aufzuzeigen, wie ein kleines Wort große Wirkung entfalten kann. Ein kleines bösartiges Wort wie "Kanake" kann das Ganze gefährden. Weil plötzlich mit geringen Unterschieden sehr große Verschiedenheiten, sehr große Ungerechtigkeiten begründet werden: Ich deutsch, du nix. Ich reich, du nix. Ich sicher, du nix.

Doch das Ursache-Wirkungsverhältnis gilt nicht nur im Negativen. Das Geringste kann große Wirkung entfalten. Auch ein schlichtes "Welcome to Germany".

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