Flüchtlingsabkommen:Brüssel widerspricht Erdoğan: "Schlicht nicht wahr"

Turkish President Tayyip Erdogan attends an interview with Reuters at the Presidential Palace in Ankara

Erdoğan bei einem Interview im Präsidentenpalast in Ankara

(Foto: REUTERS)
  • Wortbrüchig sei die EU auch bei der Visa-Liberalisierung, so Erdoğan, sie habe den Schritt schon für Juli versprochen.
  • Von den 72 Kriterien der EU sind fünf allerdings noch nicht erfüllt. Es hakt beim Datenschutz und den türkischen Anti-Terror-Gesetzen.
  • Von den drei Milliarden, die bis Ende 2017 in Aussicht gestellt wurden, sind laut Kommission bisher 740 Millionen Euro "zugeteilt". Weitere 1,4 Milliarden folgten noch im Laufe dieser Woche.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Europa und die Türkei entfernen sich immer weiter voneinander. Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erwägt, die Todesstrafe wiedereinzuführen, hat einen Beitritt des Landes zur EU noch unwahrscheinlicher gemacht. Und nun streiten beide Seiten offen über das im März geschlossene Abkommen zur Lösung der Flüchtlingskrise. Erdoğan wirft der EU Wortbruch vor. Statt der vereinbarten drei Milliarden Euro habe sie bisher nur "symbolisch" etwas gezahlt, "ein bis zwei Millionen vielleicht", sagte er in einem ARD-Interview.

Dies wies die EU-Kommission am Dienstag energisch zurück. "Die Europäische Union respektiert ihre Verpflichtungen", sagte ein Sprecher in Brüssel. Gegenteilige Behauptungen seien "schlicht nicht wahr".

Von den drei Milliarden, die bis Ende 2017 in Aussicht gestellt wurden, sind laut Kommission bisher 740 Millionen Euro "zugeteilt". Weitere 1,4 Milliarden folgten noch im Laufe dieser Woche. Zugeteilt heißt, dass die EU entschieden hat, mit einem Betrag dieser Höhe konkrete Projekte zur Flüchtlingshilfe in der Türkei zu fördern. Sie schließt dann entsprechende Verträge mit Hilfsorganisationen, an die das Geld ausgezahlt wird.

Für den türkischen Haushalt ist nichts vorgesehen

Am 14. Juni hatte die EU 105 Millionen Euro überwiesen. Jeweils mehr als 30 Millionen gingen an das World Food Programme zum Kauf von Lebensmitteln und an Unicef zur Ausbildung von Flüchtlingskindern, kleinere Summen an das Internationale Rote Kreuz oder die Deutsche Welthungerhilfe. Auch die Türkei erhielt etwas Geld, aber nur in dem Maße, wie sie in Hilfsprojekte eingebunden ist. Für den türkischen Haushalt ist nichts vorgesehen, wie Erdoğan selbst im Interview bestätigte.

Der Präsident erinnerte an die Belastungen für sein Land durch die Aufnahme von mehr als drei Millionen Flüchtlingen. Die Türkei habe dafür zwölf Milliarden Euro gezahlt. Vom "Westen" sei fast nichts gekommen. In Kommissionskreisen hielt man dem entgegen, die EU habe sich maximal beeilt, was die Verteilung des Geldes betreffe. Drei Milliarden könnten nicht einfach auf den Tisch gelegt werden. Vielmehr mache sich zunächst ein Steuerungskomitee Gedanken über die Verwendung, in Absprache mit anderen Gebern. Das Geld werde auch nie auf einmal ausgezahlt, sondern in Tranchen. Die Summen würden vermutlich schon bald stark steigen. Da die türkische Regierung als "Berater" in dem Komitee sitze, sei sie über das Prozedere informiert.

Wortbrüchig sei die EU auch bei der Visaliberalisierung, so Erdoğan, sie habe den Schritt schon für Juli versprochen. Doch ignoriert der Präsident damit die Bedingungen, die die EU stellt, seit der Prozess 2013 begann. Von den 72 Kriterien sind fünf noch nicht erfüllt. Es hakt beim Datenschutz, aber auch bei den türkischen Anti-Terror-Gesetzen, die der EU zu weit gefasst sind. Erdoğan weigert sich, einer engeren Terrordefinition zuzustimmen, er hat dies nach dem Putschversuch bekräftigt. Die Bedingungen blieben wie sie sind, hieß es in der Kommission. Hier ist keine Einigung in Sicht.

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