Flüchtlinge:Zieht Osteuropa nicht mit, bricht das System zusammen

Flüchtlinge: Ein junger Mensch auf der Flucht an der kroatisch-slowenischen Grenze.

Ein junger Mensch auf der Flucht an der kroatisch-slowenischen Grenze.

(Foto: AP)

In Kälte und Dreck sitzen Flüchtlinge auf dem Balkan fest, die EU-Staaten müssen eine Lösung finden. Slowenien braucht dringend Nothilfe - und die Solidarität der Nachbarländer.

Kommentar von Thomas Kirchner

Wieder hat die Flüchtlingskrise eine neue Dimension erreicht. So chaotisch die Lage zu sein schien, sie war doch einigermaßen kontrollierbar, solange der Zug der Flüchtlinge über den Balkan funktionierte und Deutschland seine Grenze nicht wirklich dichtmachte.

So ging das wochenlang: Nachdem die Migranten auf einer griechischen Insel europäischen Boden betreten hatten, wurden sie von einem Balkan-Land zum nächsten verschoben, in Richtung Norden und Westen. Trotz gegenteiliger Beteuerungen reichten die betroffenen Staaten das Problem schlicht an den Nachbarn weiter.

Länder wie Slowenien brauchen unmittelbare Hilfe

Manche sind tatsächlich überfordert, andere stehlen sich einfach aus der Solidarität. Wenn Behörden nur noch Busfahrten organisieren, um Flüchtlinge von einem Ende des Landes zum anderen zu transportieren, grenzt das schon an den Tatbestand der Beihilfe zum Menschenhandel.

Doch nun stockt der Strom. Die Route über Ungarn ist blockiert; Serbien und Kroatien kapitulieren, schließen Grenzen. Und Zehntausende Menschen überrennen das kleine Slowenien. Das Schengen-Land weiß sich nur noch mit dem Einsatz von Soldaten zu helfen, und schon fordern viele, nun ebenfalls einen Zaun an der Grenze zu bauen. Derweil sinken die Temperaturen, die Lage der Flüchtlinge wird täglich prekärer.

Was Länder wie Slowenien nun brauchen, ist unmittelbare Hilfe bei der Registrierung, Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge. Wenn das die Nachbarn nicht schaffen oder schaffen wollen, muss es die EU-Kommission organisieren. Die vier Millionen Euro, die sie aus einem Notfallfonds zur Verfügung gestellt hat, sind zu wenig.

Die bisherige Umverteilung ist erbärmlich

Doch wenn Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Sonntag die Staats- und Regierungschefs der betroffenen Länder bei einem weiteren Sondertreffen in Brüssel empfängt, kann er nicht viel mehr präsentieren als einen Plan, den alle längst kennen. Er sieht vor, die Flüchtlinge dort zu empfangen, wo es am sinnvollsten ist: an den EU-Außengrenzen. In den Hotspots, die dort jetzt entstehen, können sie registriert und von dort aus auf möglichst viele Staaten verteilt werden.

Das alles reicht bekanntlich nicht, es muss um viele andere Aspekte ergänzt werden: eine bessere Sicherung der Grenzen, energischere Abschiebungen, eine engere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern wie der Türkei, großzügige Programme zur direkten Übernahme von Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsgebieten und den Nachbarländern. Aber es ist bisher die beste vorliegende Idee, wie mit jenen verfahren werden kann, die es bis nach Europa geschafft haben. Also genau den Menschen, die nun auf dem Balkan bis zu den Knöcheln im Schlamm stehen.

Wenn Osteuropa nicht mitzieht, bricht das System zusammen

Nun ist es nicht so, dass man in Brüssel ein solches koordiniertes Vorgehen einfach verfügen könnte. Wäre die EU wie ein Staat, dessen Regierung eine Politik aus einem Guss ermöglichen könnte - dann könnte sie den großen Krisen dieses Jahrzehnts besser und effizienter begegnen. Aber ein solches europäisches Machtmonstrum gibt es nicht, und vielleicht ist das auch gut so. Deshalb ist die Union nur so stark wie der Zusammenhalt ihrer Mitglieder. Und um den ist es schlecht bestellt.

Weder für die zusätzlich nötigen Grenzschützer noch für die Plätze zur Umverteilung gibt es aus den EU-Staaten genügend Zusagen. Gerade mal 87 Flüchtlinge von geplanten 160 000 hat man bisher verteilen können. Das ist erbärmlich, wenn weiterhin täglich Zehntausende nach Europa strömen. Deshalb hätten zu dem Sondertreffen am Wochenende auch jene osteuropäischen Staaten eingeladen werden sollen, die eine solidarische Verteilung noch immer sabotieren. Wenn sie nicht mitziehen, bricht das System zusammen - und langfristig auch die EU.

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