Flüchtlinge:Europa braucht ein gemeinsames Asylrecht

Morai refugee camp on Lesbos

Bisher hängen die Erfolgsaussichten eines Asylantrags vom jeweiligen EU-Land ab. Auch das Schicksal dieser Flüchtlinge auf Lesbos.

(Foto: dpa)

Die Vorteile liegen auf der Hand. Dennoch gibt es Verweigerer. Sie werden den Preis am Ende selbst mitbezahlen.

Kommentar von Daniel Brössler

Gäbe es die Europäische Union nicht, niemand könnte sie sich ausdenken. Gespeist aus Idealismus, leidvoller Erfahrung, klugen wie dummen Kompromissen sowie nüchternem Pragmatismus ist über die Jahrzehnte ein kompliziertes Gebilde entstanden, das den Bürgern zwar viele Vorteile bietet, aber auch von grotesken Unzulänglichkeiten geprägt ist. Ließe die Welt die Europäer in Ruhe machen, wer weiß, vielleicht würden sie sich in ein paar Jahrzehnten tatsächlich ans Ziel wurschteln. Doch Zeit ist genau das, was die Europäer nicht haben.

Mit Stückwerk glaubte die EU dem Prinzip der Machbarkeit zu folgen - und hat Disfunktionales geschaffen. Das gilt auch für die an sich großartige Errungenschaft des freien Reisens im Schengen-Raum. Wer diese erhalten will, muss die Fragmente europäischer Asylpolitik endlich zu einem Ganzen fügen.

Die EU bräuchte ein einheitliches Asylrecht

Unter dem Eindruck der hohen Flüchtlingszahlen haben sich die EU-Staaten schnell darauf verständigt, dass der Schutz der Außengrenzen verbessert werden muss. In überraschender Geschwindigkeit ist das Projekt eines europäischen Grenzschutzes auf den Weg gebracht worden. Wenn die EU-Kommission nun Vorschläge für eine Vereinheitlichung der Asylverfahren auf den Tisch legt, müsste der Tatendrang mindestens ebenso ausgeprägt ausfallen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Dublin-Regeln, 1990 in der irischen Hauptstadt beschlossen und mehrfach weiterentwickelt, vergangenes Jahr einmal als "obsolet" bezeichnet. Ohne gravierende Änderungen ist eine Rückkehr zu diesem System, wie sie vielfach gefordert wird, unmöglich.

Die Dublin-Regeln bürden die Last der Prüfung und Aufnahme jenen Staaten auf, in denen Asylsuchende erstmals EU-Boden betreten. Das hat schon vor dem großen Ansturm nicht funktioniert. Das überforderte Griechenland fiel, wie Gerichte festgestellt haben, als sicherer Zufluchtsort weitgehend aus. Das Zurückschicken nach Griechenland - von den Regeln eigentlich vorgesehen - ist schon seit Jahren nicht möglich. Zum Durchwinken gab es aus griechischer Sicht keine Alternative - mit der Folge, dass durch Schengen geöffnete Schlagbäume wieder fielen. Der Deal mit der Türkei mag nun zeitweise Entlastung schaffen, einen schweren europäischen Systemfehler kann er aber nicht beheben.

Die EU-Kommission hat recht, wenn sie nun ein Verfahren kreieren will, das unverhältnismäßig hohe Lasten für einzelne Mitgliedstaaten vermeidet und das auch noch funktioniert. Den EU-Staaten präsentiert die Kommission dabei zwei Varianten: Nach der ersten würden alle ankommenden Asylberechtigten über ein Quotensystem in der EU verteilt. Die andere Variante läuft darauf hinaus, das bestehende System zu erhalten und um einen "Fairness-Mechanismus" für den Krisenfall zu ergänzen. Es darf angenommen werden, dass die Kommission die erste Variante für wünschenswert hält, aber die zweite für durchsetzbar.

Grenzkontrollen richten wirtschaftlichen Schaden an

Das ist die Crux: Einerseits liegen die Vorteile eines echten europäischen Asylsystems auf der Hand, in dem Lasten geteilt und nach denselben Kriterien über Schutz und Zuflucht entschieden wird. Es leuchtet auch nicht auf Anhieb ein, warum in einer Gemeinschaft, die Währung und Werte teilt, nicht eine europäische Behörde die Asylverfahren durchführen sollte. Andererseits hat es auch wenig Sinn, die Augen vor der Gemengelage in Europa zu verschließen. In Ungarn peitscht Ministerpräsident Viktor Orbán die Stimmung gegen Flüchtlinge mit einer Rhetorik auf, die in Deutschland als völkisch bezeichnet würde. Die Bereitschaft, Verantwortung für Schutzsuchende zu übernehmen, ist auch anderswo, vorsichtig formuliert, unterentwickelt. Der Widerstand wird beträchtlich sein.

In dieser Lage wird die Union vermutlich gar keine andere Wahl haben, als wieder auf Stückwerk zurückzugreifen. Eine gerechtere Lastenteilung und Verfahren, die in allen EU-Staaten wenigstens ähnlich sind, bilden aber die Untergrenze dessen, was unbedingt erreicht werden muss. Die Erfolgsaussichten eines Asylantrages dürfen nicht länger davon abhängen, in welchem EU-Land er gestellt wird. Zumindest so viel europäische Einigkeit wird sein müssen.

Anders lässt sich der Raum der freien Fahrt, übrigens auch für Lastwagen, nicht erhalten. Wer wie Orbán seine Bürger gegen Flüchtlinge aufhetzt und sich einer europäischen Asylpolitik verweigert, muss seinen Leuten auch den Preis nennen. Schon jetzt richten zeitweise wiedereingeführte Grenzkontrollen wirtschaftlichen Schaden an. Auf Dauer wären die Kosten der zeitraubenden Kontrollen immens - und für etliche Betriebe zu hoch. Das gilt EU-weit, auch in Ungarn.

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