Flüchtlinge:Wie deutsche Behörden mit dem Aufnahme-Chaos kämpfen

Flüchtlinge: Flüchtlingsunterkunft in einem Hangar auf dem Tempelhofer Flughafengelände in Berlin.

Flüchtlingsunterkunft in einem Hangar auf dem Tempelhofer Flughafengelände in Berlin.

(Foto: AP)

Bei der Registrierung von Flüchtlingen gibt es weiter Probleme. Der so genannte Ankunftsnachweis soll die Lage nun entschärfen - doch auch damit kommen Flüchtlinge noch nicht wirklich im neuen Leben an.

Von Stefan Braun und Kristiana Ludwig

Vielleicht ist es nur eine Verschnaufpause, vielleicht eine echte Beruhigung. Die neuesten Statistiken zu den Flüchtlingen in Deutschland signalisieren jedenfalls, dass die Probleme, die im Herbst zutage traten, kleiner werden. Die Zahl der Flüchtlinge ist gefallen.

Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag mitteilte, kamen in den ersten drei Monaten 2016 gut 170 000 Flüchtlinge nach Deutschland. In den letzten drei Monaten des Vorjahres waren es noch mehr als 500 000 gewesen. Im Dezember überschritten 120 000 Flüchtlinge die Grenze nach Deutschland, im Januar waren es 90 000, im Februar 60 000 und im März noch 20 000 Menschen.

Auch strebt die Kanzlerin nach dem Abkommen mit der Türkei zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen nun eine ähnliche Einigung mit Libyen an. Um die EU-Außengrenzen zu schützen, gebe es keinen anderen Weg, als Verabredungen mit Nachbarstaaten zu treffen, sagte Merkel am Freitag vor Delegierten der Berliner Landes-CDU.

Mehr Asylanträge - und mehr Entscheidungen

Deutlich angestiegen sind in Deutschland hingegen die Asylanträge. Das aber ist nach Angaben von Frank-Jürgen Weise, dem Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), kein Widerspruch zu den sinkenden Flüchtlingszahlen. Es zeige vielmehr, dass es dem Bamf dank Tausender neuer Mitarbeiter zunehmend gelinge, auch sogenannte Altfälle zu bearbeiten, also Anträge von jenen anzunehmen, die länger da sind, aber noch keinen Antrag stellen konnten. In den ersten drei Monaten 2015 verzeichnete das Bamf gut 85 000 Asylanträge, ein Jahr später waren es 181 000. Gleichzeitig aber verdreifachte sich auch die Zahl der Asylentscheidungen. Von Januar bis März 2015 waren es knapp 60 000, in diesem Jahr 150 000.

Ein zentrales Instrument zur weiteren Verbesserung der Lage ist der neue, bundesweit einheitliche Ankunftsnachweis. Mit ihm ist eine zentrale Registrierung aller Daten im Ausländerzentralregister verbunden. Früher durchlief ein Flüchtling mal drei, mal vier Registrierungen verschiedener Behörden. Jetzt soll das alles auf einmal geschehen, um den Prozess zu beschleunigen. Noch aber läuft dabei nicht alles rund, was rund laufen müsste.

Ein Blick nach Bielefeld, in die örtliche Ausländerbehörde: Hier gibt es seit der Einführung des neuen Dokuments einen neuen Job - die Finger-Führerin. Sie kommt, wenn der Fingerabdruckscanner piept. Dann nimmt sie die Hand der irakischen Großmutter oder des syrischen Schulkinds und rollt den Abdruck von jeder einzelnen Fingerkuppe. Das neue Verfahren heißt Fast-ID, auf Deutsch: Schnell-Identifikation. Beim Namen schmunzeln die Beamten. Im vergangenen Jahr, sagt Abteilungsleiter Ronny Smok, registrierten sie 280 Menschen am Tag. Jetzt schaffen sie allenfalls 160. Die Prozedur bis zum neuen Ausweis kann 45 Minuten dauern.

Bisher hatte die Behörde für die erste Registrierung nur Minuten gebraucht. Fehlte der Pass, knipsten die Beamten ein Foto. Dann druckten sie eine "Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender", kurz Büma. Das Problem: Sie können die Angaben nirgends überprüfen. Das Papier sollte nie mehr sein als ein Provisorium. Nach wenigen Tagen sollten Experten vom Bamf die Eingereisten befragen.

Die Behörden kämpfen mit Datenlücken - manche Bewerber nutzen sie aus

Doch der Ansturm im Herbst änderte viel. Die 300 000 bis 400 000 Menschen, die nach Schätzungen des Bamf zu den Altfällen gehören, leben zum Teil seit Monaten mit ihrem Büma-Zettel in Heimen und Turnhallen. Dort warten sie auf eine Nachricht vom Bamf. Den Pass ihres Heimatlandes, sofern sie ihn nach der Flucht noch bei sich hatten, haben die Behörden eingezogen. Diese Lücke nutzen mittlerweile Menschen aus, die etwa aus Nordafrika kommen und eine geringe Bleibeperspektive haben. Droht ihnen ein Bescheid der Behörden, an den sich ihre Ausweisung koppelt, melden sie sich an einem anderen Ort neu an, um Zeit zu gewinnen.

Der Ankunftsnachweis soll Ordnung in das Chaos bringen, auch in das der Multi-Identitäten. Gleich bei der Ankunft werden die Fingerabdrücke mit Polizeidateien und dem Ausländerzentralregister abgeglichen, um zu sehen, ob ein Asylsuchender schon mal einen Antrag gestellt hat oder straffällig geworden ist. Altfälle betrifft das aber noch nicht. Deshalb schickt das Bamf derzeit mobile Teams in die Gemeinden, um "Asylvorakten" anzulegen. Doch der Andrang vom Herbst bereitet auch diesen Trupps noch Schwierigkeiten. Einige Flüchtlinge finden sie nicht wieder.

In Bornheim bei Bonn lebt Mohammed D., 22 Jahre alt. Sein Wohnheim teilt er seit Oktober mit 14 Menschen aus Syrien und aus dem Irak. Die jungen Leute bekamen schnell Hilfe. Und sie bekamen die Aufforderung, ihre Rundfunkgebühren zu bezahlen. Nur aufs Bamf mussten sie lange warten. Erst als ein Ehrenamtler im Januar dort anrief, erfuhren sie, warum: Das Amt, hieß es, kenne zwar ihre Namen, wisse aber nicht, wo sie sich aufhielten. Anders als die Rundfunkanstalten hatte das Bamf bislang keinen Zugriff auf das Register der Einwohnermeldeämter.

In Bornheim bei Bonn half die Freiwillige Feuerwehr bei der Registrierung

Diese Datenlücken sind auch ein Resultat der schlecht organisierten Flüchtlingsverteilung im vergangenen Jahr. Die Erstaufnahmestelle in Dortmund sperrte an manchen Tagen die eigene Zufahrt. Zu viele Menschen kamen gleichzeitig an. In Bussen schickte die Behörde Flüchtlinge weiter in die Kommunen. In Bornheim, sagt Bürgermeister Wolfgang Henseler (SPD), kamen sie mal mit, mal ohne Büma an, und manchmal passten die Namenslisten gar nicht zu den Menschen in den Omnibussen. Die freiwillige Feuerwehr half, die Namen der Menschen aufzuschreiben. Bamf-Leiter Weise weiß um diese Fälle - und hofft, sie mit der neuen zentralen Datei im Ausländerzentralregister zu lösen. Um das zu erreichen, hat er Länder und Kommunen aufgefordert, ihre Daten über die Flüchtlinge Schritt für Schritt ins Ausländerzentralregister einzuspeisen.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. In Bornheim leben 400 Menschen mit einer Büma. Aus diesem Dokument leitet sich weder ein Recht auf Schule für Kinder noch ein Anspruch auf einen Deutschkurs oder einen Arbeitsplatz ab. Also organisiert Bürgermeister Henseler Einstiegshilfen für Flüchtlinge selbst. Die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner, schätzt, dass es in 20 Prozent der Kommunen anders läuft. Hier gehen etwa viele Büma-Kinder nicht zur Schule.

Der neue Ankunftsnachweis hat das bislang nicht geändert. Innenminister de Maizière sagte am Freitag aber zu, dass alle Unklarheiten, die sich aus dem Ankunftsnachweis noch ergeben könnten, pragmatisch gelöst würden. Das gelte besonders für alle Fragen, an Integrationsmaßnahmen gekoppelt seien. Am 22. April trifft sich das Kabinett wieder mit den Ministerpräsidenten. Dann wird man sehen, ob er hält, was er versprochen hat.

Was passiert am 12. Mai?

Seit Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem TV-Interview ankündigte, die aktuellen Kontrollen an den deutschen Grenzen könnten am 12. Mai enden, hat es mit der CSU heftigen Ärger und ansonsten viele Fragen gegeben. Hintergrund der Äußerungen ist die Tatsache, dass die im September 2015 beschlossenen und auf Basis der Schengen-Regeln zweimal verlängerten Kontrollen formal am 12. Mai auslaufen. Ob sie noch einmal verlängert werden, ist offen. De Maizière betonte, darüber sei noch keine Entscheidung gefallen. Die Kontrollen wurden im Frühherbst vorigen Jahres eingeführt, weil Hunderttausende Menschen über die Ägäis nach Griechenland flohen und von einer gesicherten EU-Außengrenze keine Rede mehr sein konnte. Der Ansturm auch an der österreichisch-deutschen Grenze war damals so groß, dass mangels Kapazitäten eine Registrierung jedes einzelnen Flüchtlings direkt an der Grenze unmöglich wurde. Zugleich häuften sich Berichte von Schleppern, die Menschen in Transportern oder Lastwagen versteckt über die Grenze brachten. Also entschied das Innenministerium in Berlin, die Grenzen zwar nicht zu schließen, aber an zentralen Übergängen Kontrollen einzuführen. Nach dem Streit mit der CSU, die sich von de Maizière übergangen fühlte, betonte der Minister am Freitag, er werde sich vor dem 12. Mai selbstverständlich mit den Bundesländern, vor allem mit dem am stärksten betroffenen Bayern abstimmen. Er sagte aber auch, dass die abschließende Entscheidung der zuständige Minister, also er, treffen werde. Stefan Braun

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