Flüchtlinge:Wir schaffen es doch nicht

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Deutschland vollzieht die Kehrtwende und führt Grenzkontrollen ein. Die Politik ist gescheitert an der eigenen Selbstüberschätzung und der europäischen Unbeweglichkeit.

Kommentar von Stefan Kornelius

Zwei Wochen ist es her, dass Angela Merkel die Großherzigkeits-Offensive Deutschlands gegenüber den Flüchtenden unter der Rubrik "Wir schaffen das" startete. Am Sonntag hat die Bundesregierung eine spektakuläre Kehrtwende unternommen und damit zugegeben: "Wir schaffen es doch nicht." Für die Bundeskanzlerin ist dies das Eingeständnis einer politischen Fehleinschätzung, wie sie ihr in zehn Jahren Kanzlerschaft noch nicht unterlaufen ist. Der Nation steht eine schwere politische Auseinandersetzung bevor. Und für Europa lautet die Botschaft: Deutschland hat verstanden, es wird nicht im Alleingang die Flüchtlingspolitik der EU revolutionieren können.

Der Zustrom der vielen Tausenden Menschen übers Wochenende, der Kollaps der Erstaufnahme in München, die Verweigerung der Solidarität auch unter den Bundesländern: Der Zumutungs-Darwinismus hat inzwischen auch Deutschland erfasst. Die für Europa längst diagnostizierte Doppelmoral hatte das Land ergriffen, das mit seiner Willkommenskultur ein Trugbild in den vielen Flüchtlingslagern von Syrien bis Pakistan schuf: Nein, Deutschland konnte nicht offen für alle sein, weil die schiere Zahl der Flüchtenden das Land nicht finanziell, aber wohl gesellschaftlich überfordert hätte.

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Die deutsche Politik ist gescheitert an dem eklatanten Widerspruch zwischen der moralischen (und rechtlichen) Verpflichtung, die jedem Kriegsflüchtling Asyl zugesteht, und der schieren Größe des Problems. Sie ist gescheitert an der eigenen Selbstüberschätzung und der europäischen Unbeweglichkeit. Europa ist in den vergangenen Wochen in eine gefährliche Schieflage gekommen. Die Spannungen etwa zwischen Ungarn und seinen Nachbarn oder zwischen Dänemark und Deutschland gefährdeten die Freizügigkeit und damit den Rechtsraum Europa. Man kann die Unbeweglichkeit der Staaten Europas verdammen, aber Solidarität ist ein zweischneidiges Schwert: Sie gilt auch für alle, die sich überfordert oder politisch bedrängt sehen. Die waren diesmal eindeutig in der Mehrheit.

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Bedrängt war am Ende die Kanzlerin vor allem von ihrer eigenen Partei. Aber auch der SPD-Vorsitzende hat sich angreifbar gemacht mit der Aussage, das Land werde jährlich weit mehr als 500 000 Menschen auf lange Zeit aufnehmen können. Wie er das bewerkstelligen wollte, hat Gabriel nicht erklärt.

Kontrollen an den Grenzen und die Zurückweisung von Flüchtlingen etwa aus dem Balkan werden vermutlich zunächst wenig an der Zahl der Menschen ändern, die den mühseligen Weg auf sich nehmen. Die Kontrollen haben deswegen vor allem einen symbolischen Charakter. Sie sind die deutsche Variante einer Botschaft, die etwa Frankreich, Großbritannien oder Ungarn auf die eine oder andere brutale Weise aussprechen: Wir können und wollen nicht alle aufnehmen. Das ist die harte Lektion der Flüchtlingstragödie: Herz und Verstand lassen sich nicht mehr in Einklang bringen.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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