Flüchtlinge - Traunstein:17 Tote bei Schleusung: Überlebende schildern Unglück

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Traunstein (dpa/lby) - Bewaffnete Schleuser, Dunkelheit, das Meer und dann, die Küste scheinbar schon nah, ein tödlicher Unfall: Das mit gut 50 Menschen besetzte und unbeleuchtete Schlauchboot kollidiert mit einem Frachter. 17 Flüchtlinge sterben, darunter sechs Kinder. Die Menschen, die in der Nacht zum 20. September 2015 von Izmir in der Türkei Richtung Lesbos starteten, haben Schreckliches erlebt. Einer der mutmaßlichen Schleuser, selbst Flüchtling, muss sich nun erneut vor dem Landgericht Traunstein verantworten. Überlebende schilderten am Dienstag als Zeugen die Flucht und das Unglück.

Schleuser hätten ihn am Strand mit Waffen bedroht und gezwungen, mitzufahren und die Bootsführerschaft zu übernehmen, sagte ein heute 26-Jähriger. Nach etwa zweistündiger Fahrt sei plötzlich der riesige Rumpf eines Schiffes aus der Dunkelheit aufgetaucht, es kam zur Kollision. Die Flüchtlinge hätten plötzlich "ganz was Hohes gesehen", sagte der in Syrien geborene Palästinenser, dessen Aussage übersetzt wurde. Von den Toten habe er später erfahren. jeder habe sich zuerst um sich selbst gekümmert. Er selbst überlebte an einen Rettungsring geklammert. Den 30-jährigen Angeklagten, der einige Flüchtlinge für die Fahrt vermittelte, habe er aus einem Flüchtlingslager gekannt.

Ein anderer Überlebender sagte, er habe den Angeklagten nicht gekannt. Als der Motor des Boots nicht ansprang, hätten viele wieder aussteigen wollen. "Aber das haben sie uns nicht mehr erlaubt", sagte der 44-Jährige. Er sei kurz vor der Kollision ins Wasser gesprungen.

Im Sommer 2017 hatte das Landgericht den Bootsführer, den jetzigen Angeklagten und einen dritten Mann - allesamt Flüchtlinge aus Syrien - verurteilt. Das Gericht blieb aber teils weit unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Der 26-Jährige ist rechtskräftig wegen Schleusung mit Todesfolge zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt und arbeitet heute als Lagerist. Der dritte Angeklagte, der sich um Geldtransfers kümmerte, bekam zwei Jahre Haft auf Bewährung.

Der 30-Jährige bekam vier Jahre Haft wegen gewerbsmäßiger Schleusung. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Sie hatte unter anderem verlangt, den Mann wie den Bootsführer wegen Schleuserei mit Todesfolge zu verurteilen. Der Bundesgerichtshof hob sein Urteil auf, nun wird neu verhandelt.

Obwohl er von dem Unglück wusste, hatte der Angeklagte wenige Monate später die Flucht mit dem Schlauchboot gewagt, ebenso seine Frau und sein kleiner Sohn. Er sei von Schleusern um sein Geld gebracht worden und habe vermittelt, um wieder an Mittel für die Flucht zu kommen, gab er laut seinem Anwalt Jörg Zürner an. Einen anderen Vermittler, von dessen Flüchtlingen vier starben, habe das Amtsgericht Erding nur zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt, sagte Zürner. Die von seinem Mandanten vermittelten Flüchtlinge hingegen überlebten.

Anklägerin Laura Fischer ist dennoch der Auffassung, dass der 30-Jährige für die Todesfälle Mitschuld trägt. "Er hatte Kenntnis, dass die Menschen geschleust werden sollten und dass das Schlauchboot überladen war." Damit habe er mit dem Tod von Menschen rechnen müssen. Es sei erkennbar, dass die Strafvorstellungen von Gericht und Anklage erneut "erheblich auseinandergehen", sagte Fischer am Rande des Prozesses. Die Flüchtlinge waren offenbar von verschiedenen Schleuserorganisationen aufs Boot gebracht worden. Die Vermittler säßen hier aber strafrechtlich "alle in einem Boot" - und seien alle mitverantwortlich für das Unglück.

Unklar ist bis heute die Rolle des Frachterkapitäns. Nach vier Stunden stoppte der Frachter, setzte zurück und fuhr eine andere Richtung. "Wir haben versucht, Auskünfte von den türkischen Behörden zu erlangen. Diese gaben aber nur Auskunft über die Liste der Geborgenen und der tot Geborgenen, jedoch haben wir bis heute keine Antwort auf die Frage, wer der Kapitän war", sagte Fischer. Die Überlebenden waren schließlich von Fischerbooten und teils von der griechischen und türkischen Küstenwache gerettet worden.

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