Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingsaufnahme:Warum EU-Innenminister Seehofers Verteilmechanismus ablehnen

  • Bundesinnenminister Seehofer versucht beim EU-Innenminister-Treffen in Luxemburg, möglichst viele Länder für seinen Plan zur Flüchtlingsaufnahme zu gewinnen.
  • Doch nur wenige EU-Staaten sind bereit, sich an einem neuen Verteilmechanismus zu beteiligen.
  • Einige EU-Staaten sehen im Seehofer-Plan Italien gegenüber anderen Staaten bevorzugt, die Hilfe nötiger hätten.

Von Karoline Meta Beisel, Luxemburg

Wenn Horst Seehofer darüber spricht, warum sich nur wenige Länder seiner Seenotrettungsinitiative anschließen wollen, klingt der Bundesinnenminister wie ein Grundschullehrer, der in der Grippesaison die Klassenliste durchgeht: "Spanien ist selbst sehr belastet mit Neuankömmlingen an der Außengrenze, die Beneluxstaaten, da haben wir gerade eine Regierungsbildung in Belgien", sagt der CSU-Politiker, "genauso wie in Österreich". Dann gebe es noch die baltischen Staaten und die Skandinavier. "Alle anderen sind entweder selbst betroffen, oder haben Wahlen, oder haben Regierungsbildung."

Auch wenn Seehofer am Morgen noch einigermaßen konsterniert geklungen hatte - am Dienstagnachmittag nach dem Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg gab er sich größte Mühe, die erzielten Fortschritte als Erfolg zu verkaufen. Es gebe zwar keine weiteren Unterzeichner für jene Vereinbarung, die Seehofer Ende September mit Frankreich, Italien und Malta ausgehandelt hatte, und die die Verteilung von Migranten regeln soll, die von privaten Organisationen aus Seenot gerettet werden. Es gebe aber etwa ein Dutzend Staaten, "die im Geiste der Malta-Vereinbarung handeln" - wozu Seehofer allerdings auch Staaten wie Spanien oder Griechenland zählt, die an den Küsten des Mittelmeers bereits so viele "eigene" Ankünfte zählen, dass sie sich Seehofers Vereinbarung nicht anschließen wollen. "Die muss ich doch mitrechnen bei den Ländern, die pro-europäisch Asylpolitik machen", erklärte Seehofer seine Rechenspiele.

Die Migrationsdebatte wird stark von der Innenpolitik in den Mitgliedstaaten beeinflusst

Zu seiner Rechnung gehören auch jene Staaten, die sich wie bisher an der Verteilung von aus Seenot Geretteten beteiligen wollten, aber eben weiterhin auf informeller Basis - etwa Luxemburg, Portugal, Irland oder Litauen. Andere Länder hätten nach weiteren Einzelheiten gefragt. Deshalb werde die EU-Kommission am 11. Oktober eine Konferenz zur technischen Umsetzung der Vereinbarung veranstalten. Und auch Belgien und Österreich, wo die Regierungsbildung gerade im Gange ist, sind für Seehofer Teil seiner "potenziellen Gruppe" an Mitwirkenden. "Ich bin zufrieden", sagte der Innenminister nach Ende des Treffens.

In Luxemburg zeigte sich erneut: Die europäische Migrationsdebatte wird weiter stark von der Innenpolitik der Mitgliedstaaten beeinflusst. Tatsächlich würden wohl die meisten - wenn nicht gar alle - Staaten unterschreiben, dass niemand auf seinem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken soll. Was am Dienstag aber kein weiterer Minister unterschreiben wollte, war die Erklärung von Malta. Sie sieht vor, dass alle Geretteten innerhalb von vier Wochen auf die Unterzeichnerstaaten verteilt werden sollen, je nach Bereitschaft im Einzelfall aber wie bisher auf weitere Länder. Dadurch sollten Situationen wie jene aus dem Sommer verhindert werden, in denen Boote privater Seenotretter oft tage- oder wochenlang auf die Erlaubnis zum Anlegen in Italien oder Malta warten mussten.

Seehofer bekräftigte am Dienstag seine Zusage, jeweils 25 Prozent dieser Migranten zu übernehmen: "Wir sind einfach so groß und so wirtschaftsstark, dafür muss man sich nicht entschuldigen." Es sei immer klar gewesen, dass man gemeinsam mit Frankreich den Ankunftsländern Italien und Malta die Hälfte der Geretteten abnehmen wolle. Weitere Quotenzusagen erhielt Seehofer am Dienstag aber nicht.

Schon im Vorfeld hatten die meisten Staaten mindestens vorsichtige Zurückhaltung, oder gleich klare Ablehnung signalisiert: Malta stehe zwar tatsächlich unter großem Druck, wie mehrere EU-Diplomaten sagen. Die Länder an der östlichen Mittelmeerroute, also vor allem Zypern und Griechenland, hätten Hilfe der anderen Mitgliedsstaaten aber viel dringender nötig als Italien: Bei den Asylanträgen pro Kopf liegt Italien im EU-Vergleich nur auf Platz 13; deutlich hinter Zypern, Malta oder Zielländern wie Deutschland und Frankreich, aber auch hinter kleineren Ländern wie den Beneluxstaaten. Griechenland, Zypern und Bulgarien stellten im Rahmen des Treffens ein eigenes Dokument vor, in dem sie darauf hinweisen, dass die östliche Mittelmeerroute in den Diskussionen der jüngeren Vergangenheit nicht ausreichend berücksichtigt werde.

Auch Seehofer weiß, dass das Asylsystem der EU im Ganzen nicht funktioniert

Von Diplomaten war im Umfeld des Treffens zu hören, so ein Deal sei innenpolitisch schwer zu verkaufen, und es gebe schlicht keinen Grund, Italien eine Extrawurst zu braten - nur eben den, der neuen Regierung in Rom innenpolitisch unter die Arme zu greifen. "Wir dürfen Italien jetzt nicht im Regen stehen lassen", sagte etwa der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn bei seiner Ankunft, und auch Seehofer bekräftigte am Nachmittag, dass es durch die neue italienische Regierung eine Chance gebe, in der Debatte weiterzukommen. "Ich finde, diese Chance sollten wir nicht vergeben."

Andere Länder pochten darauf, dass die vorhandenen Regeln erst einmal eingehalten werden sollten, bevor man neue schaffe. Das zielt auf den Vorwurf, der vor allem gegen die Mittelmeeranrainer im Süden oft erhoben wird: Dass sie ankommende Migranten unregistriert weiter nach Norden reisen lassen, obwohl das europäische Recht vorsieht, dass für Asylbewerber zunächst jenes Land zuständig ist, in dem die Migranten zuerst europäischen Boden betreten haben. Auch Seehofer weiß, dass das Asylsystem der EU im Ganzen nicht funktioniert. Für ihn ist das Abkommen von Malta darum auch ein "Pilotprojekt", um zu versuchen, die festgefahrene Migrationsdebatte in der EU wieder in Gang zu bringen: "Wenn wir die Länder an den Außengrenzen der EU alleine lassen, wird es nie eine gemeinsame Asylpolitik geben", sagte er. "Aber es ist auch klar, dass wir noch ein dickes Brett zu bohren haben."

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SZ vom 09.10.2019/gal
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