Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Unschuldige dürfen nicht für Köln büßen

Die Gewalttäter von Köln gehören bestraft - so schnell wie möglich. Aber besoffene Machos in der Silvesternacht sollten nicht die deutsche Flüchtlingspolitik bestimmen dürfen.

Von Heribert Prantl

Es ist, als hätten sich die Schleusen des Internets geöffnet. Seitdem die Silvester-Ausschreitungen publik geworden sind, triumphiert im Netz ein Rassismus, wie es ihn in dieser Lautstärke in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat.

Der bisher noch halbverdeckte Rassismus wird offen, und der schon bisher offene Rassismus wird zum Getöse. Rechtspopulisten und Rechtsextremisten führen sich auf, als sei die kriminelle Silvesternacht in Köln ein deutsches Erweckungserlebnis gewesen. Ein Rudel betrunkener Männer zum Teil ausländischer Herkunft wird zu willkommenen Kronzeugen dafür gemacht, dass "die Flüchtlinge" der deutschen Gesellschaft nicht mehr zumutbar seien.

Die markige Formel, dass man "die Schnauze" von der Flüchtlingspolitik "gestrichen voll" habe, schafft es von halbbraunen Blogs hinein in Zeitungskommentare. Rechtskonservative feiern die kriminelle Silvesternacht als Zeitenwende, als den Beginn einer neuen, rigorosen deutschen Flüchtlingspolitik. Die Banden dieser Nacht - Diebe, Räuber, Frauenfeinde - sollen nun der deutschen Politik die polnische und die ungarische Linie in der Flüchtlingspolitik diktieren.

Die Strafe muss den Taten von Silvester auf dem Fuß folgen

Sollen Bürgerkriegsflüchtlinge wieder zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken? Sollen schutzsuchende Familien aus Syrien irgendwo auf der Balkanroute sterben, sollen Kinder verhungern? Sollen Unschuldige dafür büßen, dass es die Schuldigen von Köln gibt? Soll dergestalt eine Kollektivstrafe an den Flüchtlingen vollzogen werden, weil sich offenkundig einzelne Flüchtlinge in Köln unsäglich aufgeführt haben? Sollen deswegen die europäischen Werte, die Solidarität und die Humanität, an wiedererrichteten nationalen Grenzen zugrunde gehen? Soll Deutschland das grenzenlose Leid von Flüchtlingen jetzt mit einer Obergrenze abschnüren? Und für so etwas sollen die Kriminellen von Köln als Argument herhalten?

Den besoffenen Machos der Silvesternacht darf man, nach allem, was sie angerichtet haben, nicht auch noch die Kraft geben, die Genfer Flüchtlingskonvention und die besten humanitären Traditionen der Nachkriegsgeschichte auszuhebeln.

Das kann und darf nicht sein. Der deutsche Rechtsstaat muss in der Lage sein, das Strafrecht, das Asylrecht und das Ausländerrecht samt Abweisung, Ausweisung und Abschiebung so zu handhaben, dass Menschen, die Schutz brauchen, ihn erhalten; dass ihn diejenigen, die ihn nicht brauchen, nicht erhalten; und dass er denjenigen, die ihn missbraucht haben, entzogen wird. Das alles steht schon in der Genfer Flüchtlingskonvention, das alles steht schon in den geltenden Paragrafen. Dazu muss man keinen gesetzgeberischen Aufstand veranstalten.

Wer kriminell wird, entzieht sich selbst den Schutz des Gastlandes

Man braucht dazu aber eine funktionierende Verwaltung. Man braucht Ausländerbehörden, die schnell arbeiten und nicht Hunderttausende Verfahren vor sich herschieben. Man braucht eine Polizei, die weniger Fehler macht als an Silvester, und man braucht eine Strafjustiz, die gewährleistet, dass die Strafe der Tat auf dem Fuß folgt. Flüchtlingsdelikte müssen binnen wenigen Wochen abgeurteilt sein. Darauf muss sich die Strafjustiz organisatorisch einstellen, die Verwaltungsjustiz auch.

Warum? Wer auf massive Weise kriminell wird, entzieht sich quasi selbst den Schutz des Gastlandes. Das ist geltendes Recht. Man muss es durchsetzen, auch exemplarisch. Die Detailregeln dafür hat die Rechtsprechung entwickelt. Sie kann und wird, auch unter dem Eindruck der Kölner Straftaten, diese Regeln neu justieren. Dabei kann der Gesetzgeber lenkend und leitend mitwirken.

Der Rechtsstaat muss zeigen, was er kann

Es gilt, ein paar Dinge festzuhalten. Erstens: Kriminelle Banden sind kriminelle Banden. Sie gehören gefasst und bestraft, sie sind keine Vergolder für Rassismus und Flüchtlingshass. Zweitens: Aus der rechten Ecke darf jetzt nicht das deutsche Wohnzimmer werden. Was gestern rechtsradikal war, ist nicht heute in Ordnung. Drittens: Die Zivilgesellschaft hat nach Silvester keinen Grund, kleinlaut zu werden. Ihre Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge ist und bleibt großartig, sie wird nicht bemakelt von den Kölner Straftaten.

Viertens: Ohne diese Hilfsbereitschaft wird die Integration der Flüchtlinge nicht gelingen. Die Häme, die jetzt darüber ausgegossen wird, vergiftet die Gesellschaft. Fünftens: Es gibt Leute, die "wegen Köln" die Sicherheit auf Bahnhöfen und großen Plätzen privatisieren wollen. Wer so tut, als könne man mit privaten Sheriffs und Türstehern Sicherheit besser gewährleisten als mit der Polizei, führt in die Irre. Und wer so tut, als müssten Bürgerwehren aufgestellt werden, ist gefährlich.

Der Rechtsstaat muss zeigen, was er ist und was er kann. Die Freiheit in diesem Land ist keine Narrenfreiheit; das gilt für Flüchtlinge und für Flüchtlingshasser. Das steht am Anfang von Integration.

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SZ vom 11.01.2016/mahu
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