Flüchtlinge:Rostige Mechanik

Kanzlerin Angela Merkel rügt, dass es beim Flüchtlingspakt mit der Türkei vielfach hakt. Wenig überraschend, kontert die Opposition - mit einem Autokraten wie Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dürfe Europa keine Geschäfte machen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine entschlossenere Umsetzung des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei angemahnt. "Leider sind wir bei der Umsetzung noch nicht so weit, wie ich mir das gewünscht hätte", sagte sie in ihrem wöchentlichen Video-Podcast. Um "Schleppern und Schmugglern wirklich das Handwerk zu legen", habe die EU mit der Türkei eine Mechanik vereinbart, wonach Flüchtlinge, die illegal nach Griechenland einreisten, "wieder eins zu eins zurückgeschickt werden in die Türkei". Im Gegenzug habe sich die EU bereit erklärt, für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling einen anderen in Europa aufzunehmen. Ähnliche Abkommen würden mit nordafrikanischen Staaten angestrebt, so Merkel. In Staaten wie Libyen stünden die Gespräche noch am Anfang, es sei noch "sehr viel Arbeit zu leisten". Im Vergleich hierzu sei der Pakt mit der Türkei "ein gutes Beispiel".

Nach jüngsten Zahlen der EU-Kommission wurden seit Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens im März dieses Jahres 1187 Flüchtlinge von griechischen Inseln in die Türkei zurückgebracht. Im Gegenzug nahm die Europäische Union 2761 syrische Flüchtlinge auf, also mehr als doppelt so viele. In Verzug geraten ist aber auch die Europäische Union. Von den drei Milliarden Euro, die die EU der Türkei versprochen habe, um die Lage in türkischen Flüchtlingslagern zu verbessern und Geflüchtete von einer Weiterreise nach Europa abzuhalten, seien bisher lediglich 800 Millionen Euro in Projekte geflossen, monierte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor Kurzem in Brüssel. "Es kann nicht sein, dass Hilfsmaßnahmen ein Jahr brauchen, bis sie bei den Menschen ankommen", sagte der CSU-Politiker der Augsburger Allgemeinen. "Hier haben wir eher auf EU-Seite ein Problem."

Die Opposition im Bundestag, die den Flüchtlingspakt wegen der Verhaftungswelle in der Türkei scharf kritisiert, zeigte sich wenig überrascht von der Entwicklung. "Wenn man sich auf einen Autokraten wie Erdoğan einlässt, muss man sich nicht wundern", sagte der Außenpolitiker Stefan Liebich (Linke) der Süddeutschen Zeitung. Die Vize-Präsidentin des Bundestags, Claudia Roth (Grüne), hatte kürzlich gefordert, den Flüchtlingspakt aufzukündigen. Die Repression, mit der Präsident Erdoğan gegen Kritiker und Oppositionelle vorgehe, mache ihn "zum Totengräber von Rechtsstaat und Demokratie".

In der Europäischen Union zeichnet sich unterdessen ein Veto gegen die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Vor dem Außenministertreffen an diesem Montag in Brüssel kündigte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) eine Blockade weiterer EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei an. Er habe sich hierbei eng mit den Niederlanden und Bulgarien abgestimmt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält eine Blockade hingegen für falsch. "Es lohnt sich vor allem wegen der Menschen, mit dem Land im Gespräch zu bleiben", sagte er der Welt am Sonntag. Europa solle "daran arbeiten, dass sich die Türkei wieder auf die Europäische Union zubewegt und sich nicht mit Riesenschritten noch weiter entfernt".

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