Süddeutsche Zeitung

Nach Brand in Moria:Walter-Borjans: "Jetzt sind die anderen europäischen Länder gefragt"

Der SPD-Chef spricht sich für die Aufnahme weiterer Geflüchteter von den griechischen Inseln aus. Weitere deutsche Politiker unterstützen die Idee, dass Kreuzfahrtschiffe für Entlastung vor Ort sorgen.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans spricht sich für die Aufnahme weiterer Geflüchteter von den griechischen Inseln aus und richtet einen deutlichen Appell an die anderen EU-Länder. Nur zwei Tage nach einer Einigung in der großen Koalition sagt Walter-Borjans, der gemeinsam mit Saskia Esken der SPD vorsitzt, im Interview mit der Passauer Neuen Presse: "Ginge es nach der SPD, könnten Bundesländer und Städte ungehindert helfen und Flüchtlinge aufnehmen. Aber CDU und CSU blockieren hier".

Dass Deutschland insgesamt etwa 2700 Menschen aufnimmt, sei vor allem auf Druck der SPD entschieden worden. Die Aufnahme weiterer Geflüchteter machte er allerdings davon abhängig, dass auch andere EU-Staaten mitzögen. Die deutsche Regierung sei mit ihrer Entscheidung mit gutem Beispiel vorangegangen. "Jetzt sind die anderen europäischen Länder gefragt. Dann werden auch wir noch mehr tun", betont Walter-Borjans.

Wenn die EU-Partner mit ins Boot kämen, sei auch Deutschland bereit, "gemessen an seiner Größe weitere Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen". Es gehe darum, schnell zu handeln, "Menschenleben zu retten". "Das Geschacher um die Zahl der Menschen, die gerettet werden sollen, ist unerträglich."

Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos war in der vergangenen Woche komplett niedergebrannt. Zuvor hatten mehr als 12 000 Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen in dem für nur 3000 Menschen ausgelegten Lager gehaust. Zuletzt hatte ein Lockdown wegen mehrerer Corona-Fälle im Lager die Situation verschlechtert. Erste Berichte deuteten darauf hin, dass an verschiedenen Stellen des Lagers womöglich aufgrund von Brandstiftung Feuer ausbrachen.

Seit dem Brand leben die meisten ehemaligen Lagerinsassen auf den Straßen von Lesbos, es fehlt an Wasser und Nahrungsmitteln. Nur wenige sind in ein eilig von der Regierung neu errichtetes Lager gezogen. Die große Koalition hatte sich nach dem verheerenden Brand darauf geeinigt, nach zunächst 150 unbegleiteten Minderjährigen weitere 1553 Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen.

Walter-Borjans' SPD-Ko-Chefin Saskia Esken hatte ursprünglich gefordert, Deutschland müsse mehrere Tausend Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen. Gemeinsam mit SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz hatte sie die in der Koalition gefundene Einigung allerdings am Dienstag dann begrüßt, da Deutschland damit ein eigenständiges Programm ausgerufen habe. Als dritter Schritt werde eine europäische Lösung angestrebt, bei der Deutschland weitere Flüchtlinge aufnehmen würde.

Auch die SPD-Linke hatte die Koalitionsentscheidung kritisiert. Die Aufnahme weiterer 1500 Menschen von griechischen Inseln sei "besser als gar nichts, aber nicht genug", sagte die SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des "Forums Demokratische Linke 21", Hilde Mattheis. Es seien jedoch Kapazitäten für weit größere Kontingente vorhanden.

Kurzfristige Hilfe durch Kreuzfahrtschiffe?

Das Europäische Parlament debattiert an diesem Donnerstag die Migrationspolitik. Zu der Debatte wird auch die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erwartet. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union an die Mitgliedsstaaten appelliert, eine langfristige Lösung zu finden

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hofft auf einen europäischen Konsens beim Asylrecht. Die Debatte über das Dublin-Abkommen zur Verteilung von Flüchtlingen "läuft schon viel zu lange", sagte Steinmeier der italienischen Zeitung La Repubblica. Er besucht am Donnerstag und Freitag Italien.

Im Vorfeld der europäischen Parlamentsdebatte wiesen Politiker von SPD und Grünen darauf hin, dass Kreuzfahrtschiffe womöglich für eine kurzfristige Verbesserung der Lage auf Lesbos sorgen könnten. Es lägen "konkrete Angebote von Reedereien zu Selbstkosten vor", sagte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Die Europäische Kommission sollte hierauf zügig eingehen." Sowohl die Geflüchteten als auch die Inselbewohner seien "zum Spielball der gescheiterten europäischen Asylpolitik geworden".

Auch der Grünen-Europaabgeordnete Erik Markquart unterstützt diese Idee. "Viele Schiffe haben bereits Hygienekonzepte erarbeitet. Angesichts des eingebrochenen Markts für Kreuzfahrtreisen seien die Reedereien dankbar für alternative Einnahmequellen", sagte er den Zeitungen.

Die EU-Kommission hat diesen Vorschlag, den Europaparlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) gemacht haben soll, einem Medienbericht zufolge zurückgewiesen. "Die Kreuzfahrtschiff-Option ist im Vergleich zu anderen Optionen nicht kosteneffizient - zu denselben Kosten ließen sich sehr viel mehr Menschen unterbringen", zitiert das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) einen Kommissionssprecher. Er verwies demnach auf die Bemühungen der griechischen Behörden vor Ort, die Notlage der früheren Bewohner des abgebrannten Lagers Moria zu bewältigen. "Wir stehen mit ihnen in engem Austausch, bieten und koordinieren alle verfügbare Unterstützung."

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