Die griechische Regierung bekommt die Flüchtlingskrise im eigenen Land nicht unter Kontrolle. Eine Woche vor dem entscheidenden Gipfel der EU hat sich die Lage noch einmal dramatisch zugespitzt. An der Grenze zu Mazedonien kam es am Montag zu Ausschreitungen, als Hunderte Verzweifelte den Zaun bei Idomeni stürmen wollten. Mit Tränengas und Blendgranaten trieb die mazedonische Polizei die Menschen zurück. Im Hafen von Piräus und in Athen sitzen derweil Tausende fest, viele übernachten im Freien. Der griechische Migrationsminister Yannis Mouzalas sagte der SZ, dies sei der "Beginn einer humanitären Katastrophe".
Mazedonien lässt seit einer Woche nur noch wenige Hundert Flüchtlinge aus Griechenland einreisen. Die sogenannte Balkanroute ist damit praktisch dicht. Weil täglich weiter bis zu 3000 Flüchtlinge Griechenland erreichen, kommt es dort zum Rückstau. Derzeit sollen sich etwa 25 000 Migranten im Land aufhalten. Nach Angaben Mouzalas' könnte die Zahl in kurzer Zeit auf bis zu 70 000 ansteigen. "Wir versuchen, alle Flüchtlinge mit Würde zu versorgen", sagte er. "Wir bitten die EU um Hilfe, aber wir fordern auch, dass die EU die Politik umsetzt, die sie beschlossen hat."
Rufe nach Merkel
Mit Blick auf Griechenlands schwierige wirtschaftliche Situation bezeichnete Mouzalas es als "nur logisch", Flüchtlings- und Schuldenkrise zusammen zu betrachten. Zur Versorgung der Flüchtlinge habe man bei der EU um 485 Millionen Euro Nothilfe gebeten, sagte der Minister. Die EU-Kommission bereitet Notfallpläne für Griechenland und andere Länder der Balkanroute vor. Der zuständige Kommissar für humanitäre Hilfe, Christos Stylianides, wolle das Paket am Mittwoch präsentieren, sagte seine Sprecherin. Einem Medienbericht zufolge soll es 700 Millionen Euro umfassen, das Geld soll vor allem an Griechenland fließen. Ende vergangenen Jahres hatte Griechenlands Regierung angekündigt, 50 000 Plätze zur Unterbringung der Flüchtlinge zu errichten. Vier neue Lager seien im Bau. Das Land sei vom Alleingang der Balkanländer unter Führung Österreichs überrascht worden.
Bei Idomeni durften in der Nacht zu Montag nur 300 Syrer und Iraker nach Mazedonien einreisen. Afghanen dürfen seit einer Woche gar nicht mehr passieren. Nach Angaben der griechischen Polizei harrten in Idomeni zuletzt 6500 Menschen aus. Wütende Flüchtlinge riefen: "Merkel, wo bist du? Merkel, hilf uns!"
Lager am Rande ihrer Kapazitäten
Auch in Athen verschärft sich die Lage. Die Flüchtlingslager in der Stadt arbeiteten am Rande ihrer Kapazitäten, mehr als 6000 Verzweifelte sollen sich dort aufhalten. Im Hafen von Piräus saßen am Montag etwa 4000 Flüchtlinge fest. Passagierterminals müssen als Notunterkünfte herhalten. Auf dem alten Flughafen von Athen, der ebenfalls als Unterkunft genutzt wird, demonstrierten am Montag 200 afghanische Flüchtlinge für ihre Weiterreise.
Im Norden des Landes gab es einen ersten mutmaßlich fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag auf geplante Flüchtlingsunterkünfte. Zwei Hallen in der Kleinstadt Giannitsa wurden fast vollständig zerstört, berichtete das griechische Fernsehen.