Flüchtlinge:Merkel muss nach den Landtagswahlen kein Tribunal fürchten

Wahlkampf Baden-Württemberg - CDU

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Wahlkampfauftritt mit CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf in Baden-Württemberg.

(Foto: dpa)

Der CDU drohen am Sonntag schlechte Ergebnisse. In der Partei wird es gehörig rumpeln, doch Merkel wird unangefochten bleiben.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Was war über diesen EU-Türkei-Gipfel nicht alles behauptet worden. Die Schicksalstage der Kanzlerin seien angebrochen; Angela Merkel brauche dringend einen Erfolg in der Flüchtlingspolitik, damit sie sich des Rückhalts ihrer CDU sicher bleiben könne. Und jetzt ist dieses Gipfeltreffen ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Ist Merkels Macht also in Gefahr?

Am Sonntag ist jeder fünfte Deutsche aufgerufen, ein Landesparlament zu wählen. Es wird - bei allen Beteuerungen für die Bedeutung der Landespolitik - auch die erste große Abstimmung über Merkels Flüchtlingskurs. Bei den Landtagswahlen in Bremen und Hamburg vor einem Jahr war das Thema noch nicht auf der Agenda. Auch im Bundestag gab es noch kein Votum über den Kurs der Kanzlerin. Ihre Griechenland-Politik hat Merkel ein halbes Dutzend Mal im Parlament zur Abstimmung stellen müssen, die Flüchtlingspolitik noch nie. Umso nervöser blicken viele Christdemokraten auf den Sonntag: Wird die CDU dermaßen abgestraft, dass Merkel tatsächlich wackelt? Es ist die Frage nach dem berühmten Momentum, das an Wahlabenden schon manchen Spitzenpolitiker hinweggefegt hat.

Die Sorgen sind immens. Aber die Partei ist nicht irrational

Die Kommunalwahlen in Hessen waren ein Menetekel. Deutliche Verluste für die CDU, gewaltige Gewinne für die AfD, und das in einem prosperierenden westdeutschen Land mit einem CDU-Ministerpräsidenten an der Spitze - schlimmer hätte es für die Union kaum kommen können.

Wie groß die Sorgen in der CDU-Spitze sind, kann man schon an der Höhe der Brandmauern erkennen, die sie vorsorglich zwischen sich und den Spitzenkandidaten der Landtagswahlen eingezogen hat. Seit Wochen hört man von Merkels Leuten die immer gleiche Botschaft: Guido Wolf, Reiner Haseloff und Julia Klöckner hätten sich unterschiedlich geschickt, aber ausnahmslos vom Kurs der Kanzlerin abgesetzt. Wenn die drei jetzt schlechte Ergebnisse kassierten, sei das keine Ohrfeige für die Kanzlerin, sondern doch genau das Gegenteil. Dabei wird maliziös darauf verwiesen, dass Winfried Kretschmann und Malu Dreyer doch ziemlich gut im Rennen lägen, eben weil sie den Flüchtlingskurs der Kanzlerin begrüßten.

Verschwindet die AfD genauso schnell wie die Piraten?

Die Kritik an den CDU-Spitzenkandidaten ist nicht ganz von der Hand zu weisen, außerdem hat Wolf seinen Wahlkampf auch handwerklich in den Sand gesetzt. Trotzdem ist der Absturz der Landesparteien in den Umfragen nicht nur hausgemacht - er beginnt in allen drei Ländern mit der Öffnung der Grenze für die Flüchtlinge aus Ungarn im September. Die Flüchtlingsbewegungen in Europa und Merkels Antwort darauf haben tektonische Verschiebungen in der Parteienlandschaft ausgelöst. CDU und SPD haben in immer mehr Bundesländern auch zusammen keine Mehrheit mehr. Der AfD wird der Einzug in den sechsten, siebten und achten Landtag gelingen; in Sachsen-Anhalt könnte sie sogar zweitstärkste Kraft werden. Und die totgesagte FDP ist wiederauferstanden.

Für die CDU sind das unerquickliche Aussichten: Die FDP ist längst nicht mehr automatischer Mehrheitsbeschaffer für die Union. Und in der AfD hat die CDU erstmals seit Jahrzehnten einen starken Konkurrenten rechts von sich. Vergleiche der AfD mit den Piraten, wie sie auch im Kanzleramt gerne gezogen werden, um das Problem kleiner zu reden, sind dabei wohlfeil. Es ist zwar richtig, dass die Piraten in den Umfragen noch vor vier Jahren deutlich über zehn Prozent lagen, inzwischen aber zur Splitterpartei geschrumpft sind.

Daraus die Hoffnung abzuleiten, die AfD könnte schnell wieder verschwinden, ist aber gefährlich. Zum einen wird die Flüchtlingspolitik Deutschland selbst bei zurückgehenden Zahlen noch lange beschäftigen. Die Integration wird Jahre dauern und Milliarden kosten. Zum anderen ist die AfD anders als die Piraten auch eine Anti-System-Partei. Ihr Erfolg speist sich aus tief greifenden Ressentiments erschreckend großer Teile der Bevölkerung gegen den gesamten Politikbetrieb und die Demokratie. Derlei verschwindet nicht einfach mit geringer werdenden Flüchtlingszahlen.

All das erleichtert Merkel das Regieren nicht. In den kommenden Wochen dürfte es in ihrer Partei gehörig rumpeln - vor allem dann, falls außer Wolf auch Klöckner scheitern sollte. Ein Tribunal wird es am Sonntagabend trotzdem nicht geben. Die CDU ist keine irrationale Partei. Sie wird ihre Kanzlerin wenige Tage vor dem dann wirklich entscheidenden EU-Gipfel am 17. März nicht schwächen. Vor allem aber wissen auch die Merkel-Gegner, dass es in der CDU bisher niemanden gibt, mit dem die Partei bei der Bundestagswahl besser abschneiden könnte als mit Merkel. Das - und nicht die Liebe zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin - wird Merkel in der CDU an der Macht halten.

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