Flüchtlinge:Irgendwo in der Türkei

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Türkisch-griechische Grenze bei Pazarkule: Ankara ermutigte Flüchtlinge dorthin zu gehen – und verjagte sie dann wegen Corona brutal. (Foto: Armin Durgut/imago)

Griechenland kündigt an, es werde wieder Asylanträge bearbeiten. Aber was wurde aus 6000 Migranten, die Ankara erst zur Grenze lockte und dann wegen der Corona-Krise von dort vertrieben hat?

Von T. Avenarius, K. Meta Beisel und T. Zick, Brüssel/Istanbul/München

Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis erwartet eine "völlige Rückkehr zur Normalität" bei der Bearbeitung von Asylanträgen. Das sagte er am Mittwoch dem US-amerikanischen Sender CNN. Seine Regierung hatte Anfang März jegliche Möglichkeiten, in dem Land Asyl zu beantragen, für einen Monat ausgesetzt - aus Sicht zahlreicher Kritiker ist das ein Bruch mit europäischem Recht und mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Es habe sich um eine befristete Maßnahme gehandelt, die nunmehr beendet sei, sagte Mitsotakis jetzt und erinnerte bei der Gelegenheit daran, was der Anlass dafür war: Die türkische Regierung habe Anfang März "willentlich und systematisch" Menschen an die Grenze gebracht und sie dazu ermutigt und darin unterstützt, illegal nach Griechenland einzuwandern.

Aus Unzufriedenheit über die schleppende Umsetzung des Flüchtlingsabkommens mit der EU von 2016 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach mehrmaligen Drohungen an die Brüsseler Adresse gesagt: "Wir haben die Tore geöffnet". Allen Migranten in der Türkei stehe über Griechenland der Weg in die EU offen.

Wenn die Seuche im Griff ist, wird keiner mehr gestoppt an der Grenze, lässt die Türkei wissen

Seine Regierung sei ihrer Pflicht nachgekommen, die griechische Grenze und damit die EU-Außengrenze zu schützen, sagte Mitsotakis jetzt. Inzwischen beruhige sich die Lage dort offenbar; man stelle auch in dieser Hinsicht eine "Rückkehr zur Normalität" fest.

Das deckt sich mit Beobachtungen von der anderen Seite der Grenze. Die türkische Regierung hat die illegalen Lager nahe dem Übergang Pazarkule Ende März räumen und die Flüchtlinge ins Landesinnere zurückbringen lassen. Innenminister Süleyman Soylu begründete dies mit der Corona-Bekämpfung. Er sagte dem türkischen TV-Sender NTV, 5800 Migranten seien in "Repatriierungszentren in neun unterschiedlichen Provinzen" gebracht worden. Sie würden 14 Tage unter Corona-Quarantäne gestellt. Offensichtlich an die europäische Adresse gewandt fügte Soylu hinzu: "Aber niemand sollte sich nun beruhigt zurücklehnen. Wir werde keinem Nein sagen, der zum Grenzübergang Pazarkule zurückkehren möchte, wenn das Ansteckungsrisiko erst einmal beseitigt ist."

Flüchtlinge berichteten in sozialen Medien, sie seien mit Gewalt vertrieben worden. Ihre Zelte samt ihrer Habe seien in Brand gesteckt worden. Ein Flüchtling, der vor der Räumung nach Istanbul zurückgekehrt war, bestätigte dies der SZ unter Berufung auf Insassen des Lagers bei Pazarkule, Videos von Flüchtlingen belegen es ebenfalls. Auch ein türkischer Grenzbeamter sagte der SZ, es gebe im Grenzstreifen zu Griechenland derzeit keine Flüchtlingscamps mehr. Wo in der Türkei die knapp 6000 Menschen untergebracht worden sind, ist unklar. Menschenrechtler fürchten, dass sie abgeschoben werden könnten: Bei den meisten handelt es sich nicht um Syrer, sondern um Afghanen, Iraker und Menschen aus afrikanischen Staaten, die keinen Flüchtlingsstatus haben.

Obwohl die Regierung es abstritt, war klar, dass Tausende der Flüchtlinge aus dem gesamten Land zu einem guten Teil mit bereitgestellten Bussen an die Grenze gebracht wurden. Beim Versuch, die Sperranlagen zu passieren, wurden sie zum größten Teil von der griechischen Grenzpolizei mit Schlagstöcken und Gummigeschossen aufgehalten. Jene, die es über die Grenze schafften, sitzen großenteils in Abschiebehaft. Recherchen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge halten die griechischen Behörden etwa 2000 Menschen, die im Laufe des März ins Land gekommen sind, in zwei geschlossenen Lagern nahe der Städte Serres und Malakassa fest - unter "inakzeptablen Bedingungen". Es mangele an Wasser, Toiletten und Seife. Der Hinweis der Behörden, man müsse die Menschen aufgrund des Risikos einer Coronavirus-Ausbreitung in Quarantäne halten, ist aus Sicht von HRW unglaubwürdig: Das Vorgehen der Behörden sei vielmehr "ein Rezept dafür, das Virus zu verbreiten - abgesehen davon, dass es entwürdigend und unmenschlich ist".

Premier Mitsotakis räumte am Mittwoch ein, die geschilderten Bedingungen seien "alles andere als ideal", aber man möge doch bitte bedenken, dass Griechenland mit der Bewältigung dieses Problems "weitgehend auf sich gestellt" sei: Vom Rest der EU bekomme man "nicht die Unterstützung, die wir uns wünschen."

Michael O'Flaherty, der Chef der Europäischen Grundrechteagentur, mahnte am Donnerstag in Brüssel, Griechenland müsse den Menschen, die im März ins Land gekommen sind, Zugang zu einem geordneten Asylantrag gewähren.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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