Die Kleinstadt Röszke liegt kurz hinter der serbisch-ungarischen Grenze, es sind nur ein paar Kilometer in die Kreisstadt Szeged. Am Ortseingang von Röszke wiederum befindet sich direkt an der Einfallstraße ein großes, eingezäuntes Feld. Dutzende große Zelte stehen dort, und weil sich in ihnen bisweilen viele Hundert Menschen aufhalten, sind die Planen hochgezogen, damit zumindest ein wenig Luft hineinkommt. Man kann durch den Zaun beobachten, wie Kinder auf dem feuchten Boden spielen, Männer ihre vom Regen durchweichten Kleider zu trocknen versuchen, Frauen um ein paar Zentimeter Platz für ihre Babys kämpfen.
Röszke ist ein Auffanglager für Flüchtlinge wie viele andere in Europa auch: zu eng, miserabel ausgestattet.
Neben den Zelten indes geht es zu wie auf einem Busbahnhof:Mehrmals am Tag fahren Reisebusse in das Camp, von der Budapester Regierung gechartert, um Flüchtlinge aus dem Sammellager in Röszke abzuholen und weiterzutransportieren nach Szeged, dann nach Budapest und weiter, immer weiter.
175 Kilometer Grenzzaun
Nun hat offenbar am Mittwoch innerhalb des Lagers, das nur Polizisten und die Flüchtlinge betreten dürfen, ein kurzer Aufstand stattgefunden. Die Berichte über die Ursachen gehen auseinander. Etwa 200 Flüchtlinge hätten heftig gegen die haftähnlichen Zustände protestiert und sofort herausgewollt aus dem Camp, heißt es, und sie hätten sich beschwert, dass die Kinder im Regen spielen müssten. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt, heißt es. Kaum jemand bleibt länger als einen Tag hier in Röszke, aber auch ein Tag kann unerträglich lang sein, wenn es nass und kalt ist, die Kinder weinen und hungrig sind und der Weg nach Norden fürs Erste durch einen Maschendrahtzaun und Polizisten versperrt ist.
Den hohen, gefährlichen Zaun haben diese Menschen, die mit ihren Nerven am Ende sind, dabei schon hinter sich: Sie alle haben den neuen ungarischen Grenzzaun, der am Wochenende fertiggestellt sein soll, auf die eine oder andere Weise überwunden oder umrundet. Drei Meter hoch ist der Zaun selbst, dahinter noch einmal 1,50 Meter hoher Nato-Draht, insgesamt 175 Kilometer lang. Und weil die Regierung in Budapest die Zahl der Flüchtlinge, die aus Serbien über die Grenze strömen, möglichst bald auf null reduzieren will, wird an den letzten Metern der Grenzanlage mit Hochdruck gebaut. Das aber treibt die Flüchtlinge zur Eile an, die der Fertigstellung des Zauns zuvorkommen wollen; mehr als 2500 hätten allein am Dienstag die grüne Grenze nach Ungarn überquert, heißt es aus Budapest. Und so ist die Lage nicht nur im völlig überfüllten Auffanglager Röszke höchst angespannt.
Die ungarische Regierung will ihre Abwehrmaßnahmen noch weiter verstärken. Sie erwägt den Einsatz der Armee, um in der Flüchtlingskrise "die Lage an der Grenze zu Serbien unter Kontrolle zu bringen", wie ein Regierungssprecher sagte. Das Parlament werde kommende Woche darüber beraten - und ebenso über die Frage, ob der Grenzschutz durch den Einsatz von Hubschraubern, berittener Polizei und Hunden verstärkt werden könnte. Erst vergangene Woche hatte Budapest die Entsendung von Hunderten Polizisten an die Südgrenze beschlossen. Bis Mitte September sollen sechs "Grenzjäger"-Einheiten mit 2100 Mann einsatzbereit sein. Es werde aber "keinen Schießbefehl im Umgang mit den Flüchtlingen geben", sagte der Landespolizeikommandant.
"Gezwungen, einseitige Dinge zu machen"
Unterdessen verteidigte Ungarns Sozialminister Zoltán Balog die neue Grenzanlage. Man habe wegen des Flüchtlingsstroms Richtung Ungarn monatelang Alarm in Brüssel geschlagen, sagte der Minister am Mittwoch im Deutschlandfunk. Eine Antwort habe es nicht gegeben. "Nun sind wir gezwungen, einseitige Dinge zu machen, die Aufsehen erregen." Die Bürger Ungarns erwarteten zu Recht von ihrer Regierung, dass sie die Landesgrenzen sichere. Die Flüchtlinge hätten auf ihrem Weg an die ungarische Grenze mehrere andere europäische Staaten ohne Registrierung passiert. Diese Länder hätten ihre Pflicht nicht getan. "Das müssen Sie sich schon vorstellen, wie auf einmal 100 000 Leute ins Land hereinströmen - ohne jegliche Kontrolle", so Balog.
Die linke Opposition in Ungarn kritisiert das Vorgehen der Regierung gegen die Migranten scharf. Sie kriminalisiere die Menschen, das sei ein Schritt in die falsche Richtung, sagte eine Sprecherin des Parteibündnisses Együtt (Gemeinsam). Die Regierung behaupte, sie erlange mit Polizeieinsatz und Grenzzaun die Kontrolle über die Lage zurück, dabei habe sie diese längst verloren.
Ein Kommentator der regierungsnahen Zeitung Magyar Hírlap wies diese Kritik zurück. Jedes Land sei im Notfall bereit, Polizei und Militär im Kampf gegen Migranten einzusetzen. Da Europa bisher eine Lösung für diese Krise schuldig geblieben sei, sei Ungarn gezwungen, seine Grenzen selbst zu schützen.