Flüchtlinge in NRW:Eine Stadt kämpft

HIlden Hilmi Hyseni Boxen

Hilmi Hyseni (Mitte) bringt Flüchtlingen in Hilden Boxen bei.

Hilden bei Düsseldorf muss immer wieder kurzfristig neue Flüchtlinge versorgen. Zum Glück wohnt dort ein kosovarischer Boxchamp, der weiß, was es heißt, Flüchtling zu sein. Mit Sport und Einsatz zeigt eine ganz normale Kommune in Nordrhein-Westfalen, wie Flüchtlingsbetreuung funktionieren kann.

Von Jannis Brühl, Hilden

Hilmi Hyseni ist elektrisiert. Es ist ja auch die absolute Ausnahme, dass die Situation von Flüchtlingen die Begehrlichkeiten alteingesessener Bürger weckt. Die melden sich jetzt bei ihm: "Auf Facebook haben viele geschrieben, dass sie mitboxen wollen. Sogar meinem Sohn schreiben die!" Sie haben im Fernsehen gesehen, wie Hyseni jungen Männern aus Eritrea und Syrien die Handschuhe entgegenhält, ihnen zeigt, wie man darauf eindrischt und sich dabei richtig bewegt.

Hyseni war mal einer der besten Boxer Jugoslawiens und wurde selbst zum Flüchtling. Heute trainiert der 48-Jährige die Asylbewerber in der Stadt Hilden. In dem 56 000-Einwohner-Ort östlich von Düsseldorf zeigt sich, welche Herausforderung die Aufnahme von immer mehr Flüchtlingen für eine ganz normale Kommune bedeutet - und was sie leisten kann, wenn sie die Neuankömmlinge nicht einfach sich selbst überlässt.

In zwei Jahren hat sich die Zahl der Flüchtlinge in Hilden fast verdreifacht. 194 Menschen wohnen dort, hauptsächlich in zwei Unterkünften, Besuche von Medien will die Stadt den Bewohnern momentan nicht zumuten. Zwei Millionen Euro kostet die Unterbringung, das Land übernimmt 27 Prozent - zu wenig, sagt man in Hilden. Um die Menschen nicht nur abzufertigen, sondern zu integrieren - und Spannungen zu vermeiden -, setzt Sozialdezernent Reinhard Gatzke auf Sport. In einer Unterkunft gibt es einen kleinen Fitnessraum, die Stadt veranstaltet Fußballspiele zwischen Flüchtlingen und Verwaltungsmitarbeitern, zwei Stunden die Woche trainiert Hyseni die Männer. Dass zwei Stunden Boxtraining erwähnenswert sind, zeigt, wie wenig die Kommunen Flüchtlingen sonst oft bieten können.

Statt außer Kontrolle geratener Wachmänner wie in Burbach, die Flüchtlinge misshandelten, gibt es in Hilden Sozialarbeiter. Die Stadt organisiere alles selbst, ohne Fremdfirmen, sagt Michaela Neisser, im Rathaus für Soziale Dienste zuständig: "Wir wählen das Personal aus, da sind solche Probleme wie in Burbach gleich unwahrscheinlicher." In den Hildener Unterkünften wohnen allerdings auch deutlich weniger Menschen als in der in Burbach. Und sie sagt: "Der Sozialarbeiter wird als Personalaufwand gesehen. Dabei rechnet er sich am Ende." Der Schaden durch Konflikte, die ohne ihn ausbrächen, sei nämlich viel höher.

Hyseni weiß, was er tut. Er boxte in den Achtzigern für den legendären Klub aus Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, wurde jugoslawischer Vizemeister. Er sitzt im blauen Jogginganzug in Gatzkes Zimmer im Rathaus. Sein Grinsen leuchtet, wenn er von früher erzählt: "Wir waren wie der FC Bayern hier. Wir haben alle fertiggemacht in Jugoslawien." Dann folgte die Katastrophe. Serben übernahmen seinen Boxverein, verdrängten die Kosovaren, ein brutales Jahrzehnt begann. Hyseni floh und landete in Deutschland. Acht Jahre lebte er in einer Unterkunft in Hilden.

"Man steht da nur rum. Da kommen die Leute auf schlechte Gedanken", sagt er. Ihm half damals der Sport, sein Leben unter Kontrolle zu halten. Seine Karriere konnte er in Deutschland aber nicht fortsetzen, denn er wollte seine Frau nicht alleine in der Unterkunft lassen: "Es gab dauernd Streit zwischen den anderen Bewohnern, sie hatte Angst. Die Situation hat mich fertiggemacht." Für ihn ist es nun eine Rückkehr zu beidem, den Boxhandschuhen und den Flüchtlingsheimen.

Hilden gehört zu den finanziell solideren Orten in NRW, die Stadt ist Einzahler im Stärkungspakt, mit dem reichere Kommunen des Landes ärmere unterstützen. Was die Zuständigen in den vergangenen Monaten erlebten, ist aber auch hier irritierend. Michaela Neisser sagt: "Früher kam 14 Tage vor der Ankunft ein Fax. Jetzt ist es so: Gestern werde ich angerufen, dass morgen drei neue kommen." In die beiden Einrichtungen zur Erstaufnahme in Nordrhein-Westfalen drängen so viele Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Ländern, dass die Menschen nur noch Tage statt Wochen dort bleiben. Dann stehen sie plötzlich in den Kommunen. Sie haben noch kein Interview mit einem Betreuer geführt und keinen Asylantrag gestellt - was sie eigentlich bei der Erstaufnahme tun sollen. Jetzt bleibe das an den Kommunen hängen, sagt Neisser.

Die Ordnungsmacht kann Flüchtlinge einschüchtern

Ein großes Problem für die Stadt sei außerdem, dass sie die Krankenkosten voll übernehmen müsse. Ein Flüchtling zum Beispiel war Dialyse-Patient und hatte einen Schlaganfall. Er lag im Koma, musste danach in die Reha. Neisser klagt: "Das kostete 260.000 Euro - das Gesamtbudget für alle Flüchtlinge zusammen." Die Stadt musste Neisser mehr Geld zur Verfügung stellen.

Manchmal sind die Auswüchse der Situation einfach abstrus: Das Land habe die Ankunft eines Flüchtlings angemeldet, und ihn als "protethisch versorgt" bezeichnet. Klang nach wenig Problemen. Als er ankam, zeigte sich: Der Mann hatte beide Beine vom Knie abwärts verloren, keine Prothesen und saß im Rollstuhl - durchaus entscheidende Informationen, wenn es um die Unterbringung geht. "Das war dem jungen Mann gegenüber eine Unverschämtheit", sagt Neisser.

Dass sich eine Kommune intensiv um Flüchtlinge kümmert und damit ihrer Verantwortung stellt, hat allerdings auch einen Nachteil. Denn Hilden verzichtet gleich ganz auf freie Träger und kümmert sich um alles selbst. Behörden gegenüber trauen sich Flüchtlinge aber oft nicht, offen zu reden - und melden sich deshalb bei der Caritas im zwölf Kilometer entfernten Mettmann, berichtet Martin Sahler, der dort für Integration zuständig ist. Er sagt: "Verwaltung ist immer auch Ordnungsmacht", das schüchtere manchen ein. Aber auch er sagt, dass Hilden anderen Kommunen voraus sei: "Andere kümmern sich gar nicht um Flüchtlinge. Die bauen eine Unterkunft und verlassen sich dann auf Ehrenamtliche."

Hilmi Hyseni boxt mit den Flüchtlingen auch um seine eigene Zukunft. Er ist arbeitslos, für das Training mit den Flüchtlingen verdient er ein bisschen dazu. Eigentlich will er sein Wissen weitergeben, in Vollzeit junge Boxer anleiten. Die Nachfrage in der Stadt sei ja da - Türken, Marokkaner, Russen hätten sich bei ihm gemeldet. "Wir sollten das ganz groß machen", sagt er zu Gatzke, aber der bremst ihn gleich. Denn als Sozialdezernent einer nordrhein-westfälischen Kommune weiß Gatzke, dass sich so etwas nicht einfach von heute auf morgen finanzieren lässt. Er sagt zu Hyseni: "Wir fangen ja erst an."

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