Flüchtlinge in Jordanien:Zukunftswunsch: Steuern zahlen

Flüchtlinge in Jordanien: Ein syrisches Flüchtlingsmädchen in Jordanien. In dem Nachbarstaat leben 600 000 Flüchtlinge oft in extremer Not.

Ein syrisches Flüchtlingsmädchen in Jordanien. In dem Nachbarstaat leben 600 000 Flüchtlinge oft in extremer Not.

(Foto: AP)
  • Norwegen hat - nach einer heftigen Debatte - beschlossen, 8000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen.
  • Unsere Autorin macht gerade Praktikum in Jordanien, das 600 000 Flüchtlinge registriert hat. Diese Flüchtlinge leben in extremer Armut.
  • Täglich begegnet sie auf dem Heimweg von der Arbeit einer bettelnden Mutter mit ihren drei Töchtern. Sie fragt sich: Was ist besser? Flüchtlinge aufnehmen oder Hilfszahlungen an Syriens Nachbarstaaten?

Von Maria Abdli, Amman

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung.

Sollen wir sie aufnehmen? Willkommen heißen? Können wir uns das leisten?

Millionen Syrer sind in den vergangenen Jahren vor dem Krieg geflohen - und jeden Tag überqueren mehr Menschen die Grenzen. Sie schaffen es so, der Gewalt und der Angst in ihrem Heimatland zu entkommen. In Norwegen diskutierten wir - wie in anderen europäischen Ländern auch - intensiv darüber, ob wir diesen Flüchtlingen Asyl gewähren sollten. Die Debatte war stellenweise so heftig, dass wir darüber manchmal vergessen haben, über wen wir eigentlich sprechen: über Menschen. In den staubigen Straßen von Amman hat eine Familie dieser Debatte ein Gesicht verliehen.

Ich habe sie oft gesehen, die drei jungen Schwestern im Alter zwischen vier und zehn Jahren. Ich habe sie dabei beobachtet, wie sie mit ihrer Mutter auf einem dreckigen Stück Pappe in den Straßen von Abdoun saßen, in einer der reichsten Gegenden der jordanischen Hauptstadt. Manchmal schliefen sie bei Temperaturen von bis zu 40 Grad, manchmal spielten sie mit alten Spielzeugen, die irgendwelche Leute ihnen gaben - und manchmal saßen sie einfach nur herum. Stundenlang.

Oft sitzen sie dort, wenn ich in einem Taxi von meinem Praktikum, das ich gerade in Amman als Teil meines Masterprogramms mache, nach Hause fahre. Wie die meisten Menschen fahre ich einfach an ihnen vorbei und denke, wie traurig es ist, dass das Leben dieser jungen Menschen auf einen Pappkarton begrenzt ist.

In meinem Heimatland Norwegen standen diese drei Mädchen, ihre Mutter und weitere Millionen Syrer hoch auf der politischen Agenda. Etwa vier Millionen sind aus dem Land geflohen. Viele von ihnen haben Zuflucht in Nachbarstaaten gesucht: Im Libanon, in der Türkei und in Jordanien, wo ich derzeit wohne.

Die Vereinten Nationen haben ihre Mitgliedstaaten um Unterstützung bei der Unterbringung von Flüchtlingen gebeten. Sollen wir? Können wir? Kostet das nicht zu viel?

Das sind die Fragen, über die norwegische Politiker in den letzten Monaten erbittert gestritten haben. Soll Norwegen mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen als die, die es gemäß UN-Quoten bereits eingeplant hat?

Einige sprechen von mindestens 10 000 syrischen Flüchtlingen, andere wollen überhaupt keine aufnehmen. Es kam rasch zu Spannungen. Schließlich entschied das norwegische Parlament, innerhalb der nächsten drei Jahre 8 000 aufzunehmen. Doch zwei Parteien an den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums von Norwegen, die Fortschrittspartei am rechten Rand sowie die sozialistische Linkspartei haben diesem Beschluss nicht zugestimmt.

Wäre das Geld in Syriens Nachbarstaaten besser angelegt?

Auch die Einwohner Norwegens haben intensiv diskutiert. Während einige der Ansicht sind, dass dies das Mindeste ist, was ein reiches Land wie Norwegen tun kann, betonen andere die Extrakosten, die die Aufnahme von Flüchtlingen bedeutet sowie praktische Fragen wie deren Ansiedlung und Integration. Das Hauptargument der Gegner ist, dass das für Norwegen geplante Geld in den Nachbarstaaten Syriens weitaus besser angelegt wäre, wo derzeit die Mehrheit der Flüchtlinge lebt.

Genau wie die Familie, die ich hier in Amman getroffen habe. Während ich ihren Erzählungen lausche, frage ich mich, wofür sie wären. Würden sie lieber zu den 8 000 Syrern in Norwegen gehören oder würden sie es bevorzugen, wenn Hilfszahlungen für die vielen Hunderttausend Bedürftigen in Jordanien, Libanon und der Türkei geleistet würden?

Diese Familie ist in den ersten Monaten des Krieges aus Syrien geflohen. Sie sind bereits seit Jahren auf der Flucht. Sie hier in Amman zu unterstützen würde ihnen mit Sicherheit helfen, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen: Nahrung, sauberes Wasser und eine Unterkunft. Die Mutter müsste nicht bei 30 Grad draußen sitzen und jeden Tag darauf hoffen, dass jemand mit Chips, Schokolade oder - wenn sie wirklich sehr viel "Glück" hat - mit einer vollständigen Mahlzeit vorbeikommt, so dass sie ihre Kinder ernähren kann. Angesichts von Millionen von Flüchtlingen sind viele in der gleichen Lage. Sie besitzen weniger als nichts.

Hilfe ist dringend nötig. Doch was kommt dann?

Welche Perspektive haben sie, hier ein Leben aufzubauen? Es gibt keine Anzeichen, dass die Krise in Syrien bald beendet sein wird. In der Zwischenzeit steht für Millionen von Menschen das Leben still. Eine ganze Generation von Kindern wird nicht nur um ihre Kindheit betrogen, sondern auch um ihre Aussichten, sich ein Leben durch Bildung aufzubauen

"Das Schlimmste ist, dass es für meine Kinder hier keine Zukunft gibt. Es geht jeden Tag um das nackte Überleben. Wir haben hier nichts. Das ist kein Leben." Die Mutter seufzt, als sie ihre Töchter ansieht.

Die Perspektiven in Jordanien

So lange Unterstützungsleistungen in den Nachbarstaaten nicht gleichbedeutend damit sind, den Flüchtlingen langfristige Möglichkeiten zu eröffnen, um sich ein eigenes Leben aufzubauen, sind sie in einem Teufelskreis gefangen. In welchem Ausmaß hat das Geld, das in die Nachbarregionen fließt, dazu geführt, dass langfristige Möglichkeiten für diese Flüchtlinge geschaffen wurden? Bildung auf allen Ebenen? Oder wäre das Geld nur dafür eingesetzt worden, die grundlegenden, dringendsten Bedürfnisse zu stillen? Welche Chancen hätten sie in ihren derzeitigen Aufenthaltsländern?

In Jordanien leben mehr als 600 000 offiziell registrierte Flüchtlinge (inoffiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl doppelt so hoch). Die Regierung geht davon aus, dass Jordanien ein sicherer Zufluchtsort für Flüchtlinge ist, doch einige der am ärgsten belasteten Regionen setzen ihrer Gastfreundschaft immer stärkere Grenzen.

Vor allem die Regionen im Norden Jordaniens stehen unter enormem Druck. Der starke Zustrom von Flüchtlingen führt zu steigenden Wohnungspreisen, die Anforderungen an ohnehin schon überlastete Dienstleistungen wie Müllentsorgung oder Bildung sowie der größere Wettbewerb um Jobs sind nur einige Beispiele dafür. Auch wenn die jordanische Gastfreundlichkeit großartig ist, ist sie nicht grenzenlos. Und innerhalb der ärmeren Bevölkerung sind es einige leid, das Wenige mit denen zu teilen, die noch weniger haben.

Viele Flüchtlinge leben unter schwierigen Bedingungen in den Flüchtlingslagern, andere versuchen, selbst in den jordanischen Städten über die Runden zu kommen. Die Familie neben meinem Haus ist eine davon.

Die Geschichte der Familie

Die Mutter erzählt mir, dass die Familie nach ihrer Ankunft in Jordanien zu Beginn des Krieges im Zaatari Flüchtlingscamp untergebracht war, das 2012 eröffnet wurde. Doch genau wie viele andere Flüchtlinge in den Lagern waren sie mit ihrer Situation sehr unglücklich. Natürlich hatten sie ein Dach in Form eines Zeltes über ihren Köpfen und sie hatten zu essen, aber es fehlte ihnen an anderem: An Stabilität, Sicherheit und Würde. Sie wollten für sich selbst sorgen und daher entschied die Familie, das Lager zu verlassen, um sich ein Leben in Amman aufzubauen. Das Verlassen des Lagers bedeutete aber auch, dass die Familie nun auf sich gestellt war - und sie machten schnell Bekanntschaft mit der harten Realität eines Flüchtlingslebens in der Stadt.

Auch ein älterer Bruder und ein Vater gehören zur Familie. Angedacht war, dass die beiden arbeiten und so für den Rest sorgen würden. Doch in einem Land mit ohnehin hoher Arbeitslosigkeit, in dem die meisten syrischen Flüchtlinge keine Arbeitserlaubnis erhalten, stellte sich dies als deutlich schwieriger heraus als geplant. Obwohl sie bereit waren, jede Arbeit anzunehmen, verliefen ihre Bemühungen zumeist im Sande. Die Familie verdient immerhin so viel, dass sie sich ein kleines Zimmer in einer von ihr als schwierig eingestuften Nachbarschaft von Amman leisten kann, aber ansonsten lebt sie sehr eingeschränkt. Da er nicht für Nahrung für seine Familie sorgen kann, lässt der Vater seine Frau und die drei Töchter in den Straßen, damit diese in der brutal heißen Sonne auf Almosen warten.

Wenn die Mutter beschreibt, wie hart es für sie ist, ihre Kinder leiden zu sehen und wie schwierig es ist, ausreichend Nahrung aufzutreiben - und, am allerschlimmsten, abzuwarten während die Kindheit ihrer Töchter vorüberzieht, denke ich an Norwegen und die 8000 Syrer, die in mein Land kommen werden.

Das denken die Flüchtlinge

Doch was denken die Flüchtlinge selbst?

"Wir wollen unser Leben wieder in Gang bringen. Wir wollen mehr als einfach nur existieren. Immerhin können die 8000, die in Norwegen aufgenommen werden, ein normales Leben führen, Steuern zahlen und sich eine Zukunft aufbauen. Das ist alles, was wir möchten. Ein normales Leben."

Diese Sätze hat ein junger Syrer, der etwa Mitte Zwanzig ist, gesagt. Doch er hätte von vielen Syrern kommen können, die ich hier kennengelernt habe.

In Syrien ist kein Frieden in Sicht. Und auch die Aussichten in den Nachbarstaaten schätzen die Betroffenen alles andere als rosig ein. Sie träumen von einem Neustart. Anderswo.

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