Flüchtlinge in der EU:In gefährlichen Gewässern

Vor Lampedusa starben zuletzt mehr als 250 Flüchtlinge, als ihr Boot kenterte. Doch auch die Flüchtlingspolitik der EU-Staaten ist voller Tricks und Lügen - die Rechte der Schutzsuchenden bleiben dabei auf der Strecke.

Petra Bendel

Mit der Ankunft Tausender Migranten auf der Insel Lampedusa wächst in Italien die Furcht, der Umbruch in vielen arabischen Staaten könnte dort noch weit mehr Menschen zur Flucht motivieren. Damit ist auch durchaus zu rechnen: Die Wurzel jener Protestbewegungen liegt im Bedürfnis der Bürger nach politischer und wirtschaftlicher Teilhabe. Beides ist aber nicht binnen kürzester Zeit zu haben.

Lampedusa migration

Flüchtlinge bei der Ankuft auf Lampedusa.

(Foto: dpa)

So ist es nicht verwunderlich, wenn Menschen in so unsicherer Lage ihre Länder verlassen - entweder auf der Suche nach Schutz, weil daheim Demokratiebewegungen niedergeknüppelt werden; oder aber auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Sie tun dies unter größten Gefahren für Leib und Leben. Vor Lampedusa starben zuletzt mehr als 250 Flüchtlinge, als ihr Boot kenterte. Dass Deutschland nun 100 Afrikaner aus Malta aufnimmt, ist wenig - und kann nicht über eines hinwegtäuschen: Die deutsche Flüchtlingspolitik entbehrt eines Konzepts.

Der italienische Innenminister rief angesichts der vielen Flüchtlinge an der Südgrenze seines Landes sogleich nach der Hilfe Europas. Er hat sogar recht: Wenn die Europäische Union ihr Bekenntnis zum Aufbau einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik ernst meint, darf sie die Mittelmeeranrainer nicht allein lassen. In Deutschland aber, wo man selbst noch in den 1990er Jahren laut nach europäischer Entlastung rief, weisen die Ministerien ein solches Ansinnen bislang vehement zurück.

Selbstverständlich zieht das von Außenminister Guido Westerwelle vorgetragene Argument, den Bürgern von Tunesien, Ägypten und anderen, möglicherweise noch folgenden, Revolutionsländern müsse die Möglichkeit gegeben werden, sich doch gerade jetzt, in dieser Umbruchphase, in ihren Heimatländern vor Ort zu entfalten und zu engagieren.

Und freilich hat die Europäische Union dazu Instrumente zur Verfügung. Sie kann Hilfe leisten zum Aufbau der Demokratie und zu wirtschaftlichen Strukturen, die den Menschen ein Auskommen sichern. Einwanderungspolitik dagegen, das fordert die Europäische Kommission seit nunmehr sechs Jahren mit ihrem "Gesamtansatz zur Migration", müsse viel stärker mit der Außen-, und Entwicklungspolitik in Übereinstimmung gebracht werden.

Was lässt sich schneller bewirken?

Diese Konzepte sind wohlbekannt. Dennoch werden sie nicht konsequent umgesetzt. Und zugegebenermaßen: Sie wirken bestenfalls mittel- und langfristig. Daher drängt sich die Frage auf: Was lässt sich schneller bewirken? Zunächst: Personen, die tatsächlich auf der Flucht vor Verfolgung aus ethnischen, religiösen, politischen oder anderen Gründen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind, müssen weiterhin geschützt werden. Das gebietet das internationale Flüchtlingsrecht und, seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, auch das europäische Recht. Flüchtlinge dürfen also nicht zurückgewiesen werden, bevor sie überhaupt Zugang zum europäischen Asylsystem erlangen.

Sie müssen einen angemessenen Status erhalten, und sie dürfen nicht länger Gefahr laufen, auf der Suche nach Schutz in den Mitgliedstaaten der EU ganz unterschiedlich behandelt zu werden. Wer einseitig nach der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ruft, wie nun die Gewerkschaft der Polizei, muss sich die Frage gefallen lassen, wie diese Rechte garantiert werden können, wenn Boote voller Flüchtlinge vor Italien oder in der Ägäis abgedrängt werden, ohne dass ein Asylgesuch auch nur vorgetragen werden kann.

Bereits im Oktober 2010, noch vor dem Aufstand in den arabischen Ländern, war die Europäische Kommission mit Libyen übereingekommen, in Migrationsbelangen zu kooperieren - obwohl Gaddafis Regierung die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet und sogar das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, den UNHCR, des Landes verwiesen hatte. Die Unterstützung der Herkunftsstaaten beim Schutz der Grenzen darf aber nicht auf Kosten des Völkerrechts gehen. Dieses erlaubt es ausdrücklich, dass Menschen jene Länder verlassen dürfen, in denen sie verfolgt werden, um anderswo um Asyl zu ersuchen. Das gilt insbesondere dort, wo das Regime, wie eben in Libyen, die Menschenrechte mit Füßen tritt.

Die meisten Personen, die momentan nach Italien kommen, sind allerdings auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen. Seit Jahren ist Italien vor allem mit Wirtschaftsmigranten, weniger mit Asylbewerbern konfrontiert. Aufzurechnen, wie viele Asylbewerber Deutschland gegenüber Italien im vergangenen Jahr aufgenommen habe, wie es Thomas de Maizière noch in seiner Eigenschaft als Bundesinnenminister tat, heißt also, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Wirtschaftsmigranten, die mit ihren Rücküberweisungen übrigens erheblich zur Verbesserung der heimischen Ökonomien beitragen, finden aber auf der nördlichen Seite des Mittelmeers keine legalen Zugangsmöglichkeiten, sind also im Jargon der EU "illegale" oder "irreguläre" Zuwanderer.

Einseitig auf Abschreckung zu setzen, ist verlogen

Irreguläre Einreise wird in den meisten Mitgliedstaaten mit Geld- oder Gefängnisstrafen sowie Abschiebung bestraft. Die Staaten der EU haben zu ihrer Abwehr ein ganzes Arsenal von Instrumenten entwickelt. Von diesen ist die Grenzschutztruppe Frontex nur eines. Einseitig auf Abschreckung zu setzen, ist aber verlogen: Viele Mitgliedstaaten brauchen doch Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Altenpflege, von Fachkräften ganz zu schweigen.

Die EU hat es mit ihren Richtlinien, etwa zur Saisonarbeit, bislang kaum geschafft, Angebot und Nachfrage zur Deckung zu bringen, obwohl die Europäische Kommission auch dies seit schon seit Jahren fordert. Sie hat Ansätze zu einer "zirkulären" Migration, also zur Möglichkeit der wiederholten Einreise und Beschäftigung, vorgelegt, die noch nicht ausgefeilt, geschweige denn umgesetzt sind.

Konzepte für eine umfassendere Einwanderungspolitik liegen in Brüssel schon seit Jahren auf dem Tisch: Es sind Vorschläge, wie sich Außen-(handels-)politik, Entwicklungspolitik und Einwanderung aufeinander abstimmen lassen, wie die Europäische Union Flüchtlingsrechte achten kann, wie sie endlich eine vernünftige Politik zur Arbeitsmigration entwickeln könnte. All diese Ideen sind gut. Nur: Sie scheitern mit schöner Regelmäßigkeit in Berlin und Wien, in Paris und auch in Rom.

Petra Bendel - derzeit auf Vertretungsprofessur an der Universität Wittenberg-Halle - ist Geschäftsführerin des Zentralinstituts für Regionenforschung der Universität Erlangen-Nürnberg.

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