Süddeutsche Zeitung

Mittelamerika:"Die Situation in Mittelamerika wird immer schwieriger"

Armut, Gewalt und Drogen: Warum so viele Menschen aus Mittelamerika in die USA fliehen. Die Geschichte von Donny Reyes aus Honduras.

Von Sebastian Schoepp

Donny Reyes hätte allen Grund, Honduras zu verlassen. Er ist schwul und arbeitet für eine Organisation, die Interessen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) verteidigt. Deshalb muss er in Honduras in Todesangst leben. Donny Reyes wurde geschlagen, vergewaltigt, eingesperrt und geächtet. Doch er gibt nicht auf, und das, obwohl er wenig Hoffnung sieht: "Die Situation in Mittelamerika wird immer schwieriger" - und er meint nicht nur die der Homosexuellen. "Armut, Gewalt, Ungleichheit, Korruption, Perspektivlosigkeit", das sei die Aussicht für jeden, der arm ist; und das sind praktisch alle Honduraner, die nicht zur winzigen Oberschicht gehören. Deshalb haben sich Tausende Menschen auf den Weg gemacht, um in einer caravana Mittelamerika und Mexiko bis zur Grenze der USA zu durchqueren.

Die Länder Mittelamerikas sind Korridore für Drogen. Donny Reyes wirft Regierungskreisen in Honduras vor, mit der organisierten Kriminalität gemeinsame Sache zu machen. Als Handlanger fungieren Mörderbanden, Maras genannt, erkennbar an krassen Tätowierungen; mit brutaler Gewalt terrorisieren sie ganze Landstriche. Honduras ist eines der ärmsten Länder Amerikas, nur in einem Bereich belegt es einen Spitzenplatz: Die Mordrate ist laut UN die zweithöchste weltweit - auf Platz eins der Liste steht das Nachbarland El Salvador.

Das ist schon lange so, deshalb ist die "Migra", wie man die Massenauswanderung nennt, kein neues Phänomen. Überweisungen ausgewanderter Verwandter sind längst die wichtigste Einnahmequelle der meisten Familien. Neu ist, dass die Menschen gemerkt haben, dass es ihre Sichtbarkeit erhöht, wenn sie zusammen marschieren. La caravana zog nach einem Aufruf am 13. Oktober in Honduras los, Organisator war ein Menschenrechtsanwalt. Etwa 7000 Menschen sollen es sein. Sie durchquerten Mittelamerika, die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko haben sie durchbrochen. Die Füße haben die Migranten sich in Plastikschuhen oder Flip-Flops blutig gelaufen. Sie kampieren an den Straßenrändern. Doch sie geben nicht auf. "Wir gehen nicht, weil wir wollen, sondern weil wir von Gewalt und Armut vertrieben werden", hieß es in dem Aufruf.

US-Präsident Donald Trump reagierte auf Trump-Art. Er kündigte eine "substanzielle" Reduzierung der Finanzhilfen für Guatemala, Honduras und El Salvador an. Die drei Länder hätten nicht genug getan, um die Menschen aufzuhalten, erklärte er. Trump ist nervös, hat Militär an die Grenze geschickt. Den Gringo nervös zu sehen - das ist ihr einziger kleiner Sieg bisher. Inzwischen hat Mexiko den Menschen angeboten, sie könnten im Land bleiben.

Donny Reyes sagt: "Auswandern ist nicht die beste Lösung, aber wenn jemand Hunger hat, eine Familie ernähren muss, seine Gesundheit erhalten will, bleibt ihm nichts anders übrig." Er selbst hat den gefährlichen Weg einst mitgemacht, da war er 15. Er erzählt in einer Offenheit, die manchmal schwer auszuhalten ist: "Mein Vater sagte, er will keinen Homo als Sohn." Da haute er ab, minderjährig wie 80 Prozent der Auswanderer. Er schwamm auf einem Autoreifen über den Rio Suchiate an der Grenze zu Mexiko. Dann klammerte er sich an La Bestia, den Güterzug, der Mexiko durchquert. "Beim dritten Pfeifen musst du springen", erzählt Reyes. In diesem Moment hasten von überall Menschen heran, klammern sich an Tankwagen, die kaum Halt bieten. "Du spürst deine Glieder nicht mehr, viele schlafen ein und fallen herunter." Man findet ihre Leichen oder Körperteile an der Strecke.

Donny schaffte es. Mit 16 kam er in Kalifornien an. Was er da gemacht habe als Illegaler? "Na was glaubst du?", sagt er. "Ich habe mich prostituiert. Ich verkaufte meine Scham, denn ich musste essen und trinken." Später fand er einen Job in einer Plastikfabrik für einen Hungerlohn. "Ich dachte nicht, dass man in so kurzer Zeit so viel Furchtbares erleben kann." Als er sah, dass dieses Leben keine Perspektive bot, kehrte Reyes nach Honduras zurück. Er beschloss, für seine Rechte einzustehen. Da aber ging sein Leiden erst richtig los.

Vergewaltigungen und Mordversuche

Die Polizei griff ihn auf. "Ich bin Menschenrechtler", sagte er. "Eine marica bist du", kam zurück, "eine Schwuchtel". Sie steckten ihn in eine Zelle mit Maras. "Hier bekommt ihr ein Prinzesschen." Reyes erzählt: "Sie schlugen mich und vergewaltigten mich, sieben Männer." Er zeigte die Polizisten an, das Gericht entschied, er sei selber schuld, er sei ja schwul. Zweimal versuchte man ihn zu ermorden. 90 Prozent solcher Verbrechen bleiben ungesühnt. Reyes hat viele Mitstreiter verloren, zählt Namen auf: "Javier, Ferdy, Walter, Eric".

Menschenrechtsgruppen wie das Münchner Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit nahmen ihn aus der Gefahrenzone, er reiste nach Spanien und Deutschland, hielt Vorträge, traf sich mit der LGBT-Community. "Ich sehe mich als Überlebenden der Folter und der Gewalt, des Hungers und der Einsamkeit", sagte er. Aber damit, nur ein Überlebender zu sein, konnte er sich nicht abfinden. "Das Herumsitzen machte mich depressiv." Deshalb kehrte er nach Honduras zurück und arbeitet jetzt für die Menschenrechtsorganisation Arcoiris, Regenbogen. Sie haben einen sicheren Raum geschaffen, in den Schwule sich zurückziehen können, wenn sie Opfer von Gewalt werden. "Ich kämpfe jeden Tag ums Überleben", sagt Reyes.

Er wäre nicht der erste Menschenrechtler, der für sein Engagement mit dem Leben bezahlt. Weil sie sich für indigene Völker in Honduras einsetzte, wurde Berta Cáceres 2016 ermordet. Die Aktivistin hatte sich mit Konzernen anlegt, die einen Damm bauen wollen, der die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstören würde. Nur unter internationalem Druck begann die Justiz nach dem Mord zu ermitteln. Doch der Prozess kommt nicht voran; er sei von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, klagen die Anwälte.

Eigentlich ist Honduras ein wundervolles Land mit viel Kultur und Natur, sagt Donny Reyes. Doch "dieses unterdrückerische, homophobe System setzt uns Todesgefahren aus". In Honduras werde die Gewalt von fundamentalistischen religiösen Gruppen angeheizt. Das ist in Guatemala oder El Salvador nicht anders. Die Gewalt ist das Erbe der Exzesse während der Bürgerkriege der 1980er-Jahre. Viele flohen schon damals in die USA, die in den Kriegen ein maßgeblicher Akteur waren. In den Slums von Washington und Los Angeles entstanden Gangs wie Mara Salvatrucha oder Mara 13. Viele Anführer wurden in die Herkunftsländer ihrer Familien deportiert, sie nahmen die Gewaltbereitschaft mit nach Mittelamerika.

Besonders krass ist es in San Pedro Sula in Honduras, wo jetzt die caravana ihren Ausgang nahm. Donny Reyes ist von dort. Man sieht nicht auf den ersten Blick, wie gefährlich die Stadt ist. Eigentlich liegt sie schön im Sula-Tal, eine tropische Region unweit der Karibikküste. Die Stadt ist weitläufig angelegt, mit einer kolonialen Kathedrale. Umgeben ist sie von Bananen- und Palmölplantagen, doch da beginnt schon das Problem: Die Monokulturen zerstörten nicht nur die Umwelt, sie hätten viele Kleinbauern um die Existenz gebracht, sagt Reyes. Die Menschen strömten in die Stadt, um sich in maquiladoras, Textilfabriken ausländischer Konzerne, zu verdingen, "die Stadt platzt aus den Nähten. Die Atmosphäre ist extrem feindselig", sagt Reyes. "Fast jeder dort träumt davon wegzugehen." Diejenigen, die sich dazu entschließen, tun ihm leid. "Die Migra ist härter geworden, die Gangs rauben, sie vergewaltigen, verkaufen Menschen an Bordelle." Hunger, korrupte Grenzer, die Gefahr, in der Wüste zu verdursten - und am Ende die wahrscheinliche Deportation: Warum die Menschen trotzdem gehen? Reyes sagt: "Sie wollen nicht, dass man ihren Traum zerstört. Was haben sie denn sonst?"

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Quelle:
SZ vom 31.10.2018/saul
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