Süddeutsche Zeitung

Reaktion auf Habeck-Forderung:Regierung pocht auf "europäische Lösung" für Flüchtlingskinder

  • Die Bundesregierung möchte die Frage der Flüchtlingskinder auf den griechischen Inseln nur im europäischen Kontext lösen.
  • Auch in Union und FDP wird der Forderung von Grünen-Chef Robert Habeck heftig widersprochen, Kinder aus den überfüllten Lagern nach Deutschland zu holen.
  • Mehr Verständnis kommt von Seiten der SPD.
  • Der türkische Präsident Erdoğan warnt indes angesichts schwerer Luftangriffe in Nordsyrien und Zehntausender fliehender Menschen vor einer drastischen Zunahme der Zahl von Flüchtenden auch in Europa.

Die Bundesregierung plant weiterhin keine alleinige Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln in Deutschland. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer und der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, sagten in Berlin, man suche nach einer europäischen Lösung.

Aktuelle Gespräche über eine zusätzliche Aufnahme dieser Kinder und Jugendlichen gibt es nach Worten des Innenministeriumssprechers allerdings nicht. Der Sprecher sagte, die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sei "prekär" und "nicht tragbar". Es bestehe aber nicht unmittelbar Lebensgefahr. Das unterscheide die Situation vom Aspekt der Seenotrettung.

Vertreter von Union und FDP hatten zuvor die Forderung von Grünen-Chef Robert Habeck abgelehnt, Kinder aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland zu holen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sagte der Passauer Neuen Presse: "Den Kindern kann und muss am schnellsten und wirksamsten vor Ort geholfen werden. Ich verstehe hier die Hilflosigkeit der griechischen und europäischen Behörden nicht." In afrikanischen Flüchtlingscamps werde gemeinsam mit den Flüchtlings- und Kinderhilfswerken der Vereinten Nationen, UNHCR und Unicef, schneller und effektiver geholfen, erklärte der CSU-Politiker.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries mahnte in der Welt, unter keinen Umständen zuzulassen, "dass erneut Fehlanreize geschaffen werden, die neue Migrationswellen nach Deutschland auslösen".

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte der Zeitung, eine "PR-Aktion kurz vor Weihnachten hilft nicht, das Fluchtproblem verantwortungsvoll zu lösen". Parteivize Wolfgang Kubicki stellte in der Rheinischen Post die rhetorische Frage: "Was ist mit den Kindern in türkischen, jordanischen oder libyschen Lagern?"

Dagegen sagte der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius der Welt: "Wenn alle immer warten, dass alle mitmachen, macht am Ende keiner was." Es gehe darum, als Zeichen der Humanität "nicht Tausende, aber einige Hundert" Kinder nach Deutschland zu holen.

Auch der schleswig-holsteinische SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner sprach von einer "berechtigten Debatte über europäische Humanität". "Zumindest die alleingebliebenen Kinder und Jugendlichen aus den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern zu befreien, wäre jedenfalls eher mit der Weihnachtsgeschichte vereinbar als der Kommerz", schrieb Stegner auf Twitter.

SPD-Parteichefin Saskia Esken äußerte sich eher vage: "Wir müssen die Situation vor Ort verbessern, aber auch die Aufnahme von geflüchteten Menschen in anderen Mitgliedsstaaten ermöglichen, und natürlich müssen Kinder gemeinsam mit ihren Familien ein besonderes Augenmerk erhalten."

In den Flüchtlingslagern auf den Inseln im Osten der Ägäis sind nach Angaben aus Athen um die 40 000 Menschen untergebracht, obwohl nur Platz für etwa 7500 Menschen ist. Die Lage gerät zunehmend außer Kontrolle, die Zustände sind nach Berichten humanitärer Organisationen dramatisch. Griechenland rechnet im kommenden Jahr mit weiteren 100 000 Migranten, die aus der Türkei übersetzen.

Erdoğan warnt vor "neuer Migrationswelle" in Richtung Europa

Habeck hatte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Bundesregierung aufgefordert, bis zu 4000 Kinder von den griechischen Inseln zu holen - auch ohne europäischen Konsens. "Es ist ein Gebot der Humanität, da schnell zu helfen." Das Bundesinnenministerium hatte einen Alleingang Deutschlands aber bereits abgelehnt, mit der Begründung, dass sich dann die anderen EU-Länder ihrer Verantwortung entziehen würden.

Angesichts schwerer Luftangriffe in Nordsyrien und Zehntausender fliehender Menschen warnt zudem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor einer "neuen Migrationswelle" in Richtung Europa. Mehr als 80 000 Menschen seien auf dem Weg zur türkischen Grenze, sagte er am Sonntag. "Alle europäischen Länder, insbesondere Griechenland, werden die negativen Folgen zu spüren bekommen." Es werde "unvermeidlich" zu Szenen wie vor dem 2016 geschlossen Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei kommen.

Das umstrittene Abkommen führte zu einem deutlichen Rückgang der Zahl derer, die sich von der Türkei aus auf nach Europa - oft nach Deutschland - machten. Es sieht vor, dass Griechenland illegal eingereiste Migranten zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug übernimmt die EU andere syrische Flüchtlinge aus der Türkei und hilft mit Geld.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4734369
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.