Mein Leben in Deutschland:Keine Integration ohne die Frauen

Lesezeit: 3 min

Weibliche Flüchtlinge vor einer Asylunterkunft in Regensburg. (Foto: dpa)

Oft müssen Töchter und Mütter in Flüchtlingsfamilien zuhause bleiben und verpassen damit den Anschluss an die deutsche Gesellschaft, beklagt unser syrischer Gastautor.

Kolumne von Yahya Alaous

Ich sehe immer wieder Flüchtlingsfamilien auf der Straße, die das mit der Integration eindeutig nur halb umsetzen. Denn die jungen männlichen Mitglieder bekommen mehr Vorzüge und Freiheiten als die weiblichen. Manche junge Männer dürfen zerrissene Hosen und Ohrringe tragen, sogar Tattoos, während die Töchter unter langen Kopftüchern verschwinden. Manchmal ist sogar zu beobachten, wie die Männer von ihren Affären und Partys berichten, während die Frauen nicht einmal frei und alleine telefonieren dürfen.

Ich verstehe nicht, wie ein junger Mann sich selbst als integriert beschreiben kann, wenn seine Schwestern und die Mutter zu Hause bleiben und dort die meiste Zeit in der Küche verbringen müssen! Das ist meiner Ansicht nach falsche Integration, denn sie ist eine eindeutige Diskriminierung der Frauen.

Der deutsche Staat sieht das wohl genauso, aber auch in vielen arabischen Ländern gibt es Kampagnen wie "Keine Demokratie ohne Frauenrechte". Deutschland bietet weiblichen Flüchtlingen zahllose Aktivitäten an: angefangen bei Sprachkursen über therapeutische und psychologische Unterstützung bis hin zu Awareness-Kursen, die besonders Frauen über ihre Rechte und die Gesetze in Deutschland informieren. Dies führt bei manchen Geflüchteten zu Verschwörungstheorien, denn einige vermuten, dass "der Westen" Frauen gegen Männer aufwiegeln will, dass sie die Kopftücher herunter reißen und die orientalischen Werte und Traditionen vergessen sollen. Auch wird vermutet, dass die Kinder rebellisch beeinflusst werden sollen, damit sie sich den westlichen Werten und Normen verschreiben und gegen die Eltern aufbegehren.

Viele dieser Männer, die voller böser Vermutungen auf die Sprach- und Integrationskurse schauen, sehen in den Bildungsangeboten ein Fenster, dass es Frauen ermöglichst, neue Freundschaften zu knüpfen und neue Erfahrungen zu machen. Doch sie sehen dies nicht positiv, sondern eher als Bedrohung für den alten Lebensstil und die Familie, die traditionell unter der Kontrolle des Mannes steht.

Integration ist eine kollektive Bemühung, und die Vorstellung einer nur zur Hälfte integrierten Familie ist seltsam. Ich kann mich an den Gedanken gewöhnen, dass es verschiedene Stufen oder Grade der Integration gibt, also dass eine Familie sich zwischenzeitlich im Übergang auf dem Weg zur Integration befindet, aber der Gedanke an integrierte und nicht-integrierte Mitglieder ein und derselben Familie erscheint mir fürchterlich unlogisch. Es liegt nahezu auf der Hand, dass dieser Missstand das gesamte Familienleben früher oder später beeinflusst und zum Zerfall der Familie führen kann.

Wenn man über die steigende Scheidungsrate unter syrischen Flüchtlingen forscht, findet man Verschwörungstheorien, die besagen, dass die "neue Gesellschaft" schuld am Scheitern der Ehen sei. In der Realität aber können wir nicht über die steigenden Scheidungen unter syrischen Flüchtlingen sprechen ohne zunächst einen Blick zurück nach Syrien zu werfen.

Eine geschiedene Frau ist nach einer Scheidung in Syrien meist alleine, ohne die Kinder, und wird nahezu als Geächtete betrachtet - und trotzdem stieg die Scheidungsrate auch schon dort an, vor allem zu Kriegszeiten. Die Trennungen, die der Krieg verlangte, enden zunehmend in Scheidungen, auch die schwierige wirtschaftliche Lage trägt dazu bei.

Abgesehen von der Verschwörungstheorie und den wirklichen Gründen, die zu Scheidungen führen, sind Scheidungen fast immer frustrierend und verheerend für die Betroffenen, und natürlich verlangsamen solche Rückschläge des Lebens den Integrationsprozess.

Generell funktioniert die Integration bei Familien, die auf einer ebenbürtigen Beziehung zwischen Mann und Frau beruhen, deutlich besser als bei ungleichen Verhältnissen. Denn besonders die Frauen achten darauf, ein eher ausgewogenes Verhältnis zwischen den tradierten Werten und den Werten der neuen Gemeinschaft zu erschaffen.

Eine geflüchtete Frau berichtete mir, auch sie sei der Meinung sei, es gäbe keine gelungene Integration ohne Frauen. Sie fügte aber hinzu, dass diese ohne Stabilität unmöglich sei. Ich glaube, sie wollte wohl darauf anspielen, dass die Angst vor Abschiebung allgegenwärtig ist, dass es schwierig ist, drei Jahre - oder länger - die deutsche Sprache zu studieren und sich Mühe bei der Integration zu geben, wenn das große, angsteinflößende Wort "Abschiebung" stets über allem wie das Schwert des Damokles schwebt.

Übersetzung: Jasna Zajček

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kolumne "Mein Leben in Deutschland"
:Integration im Wartezimmer

Unter arabischen Migranten kommt es immer wieder vor, dass Frauen nicht zu männlichen Ärzten dürfen, berichtet unser syrischer Gastautor. Dabei kann das lebensgefährlich werden.

Kolumne von Yahya Alaous

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: